Jungenbeschneidung - Mehr als nur ein kleiner Schnitt
Jungenbeschneidung - Mehr als nur ein kleiner Schnitt ist der Titel einer arte-Dokumentation von Insa Onken[1], die am 23.07.2022 das erste Mal auf dem öffentlich-rechtlichen deutsch-französischen Sender ARTE ausgestrahlt wurde. Die etwa 52 Minuten lange Dokumentation geht der Frage nach: "Wie sinnvoll ist Jungenbeschneidung wirklich?" Dabei verbindet sie u.a. Aufnahmen und Interviews aus Kenia und vom Weltweiten Tag der Genitalen Selbstbestimmung 2017 in Köln. Der WWDOGA stand 2017 unter dem Motto: "Afrikaner leisten Widerstand gegen Beschneidungsprogramme".[2]
Inhaltsverzeichnis
Filmbeschreibung des Senders
Die Entfernung der Vorhaut ist die am häufigsten durchgeführte Operation an Jungen weltweit – aus religiösen, kulturellen oder medizinischen Gründen. Doch immer mehr Ärztinnen und Ärzte sagen, dass der Schaden größer sei als der gesundheitliche Nutzen und dass viel zu häufig ohne medizinische Notwendigkeit operiert werde.
Betroffene, die unter ihrer Beschneidung leiden, wagen zunehmend den Schritt an die Öffentlichkeit. Sie fordern, dass Jungen vor medizinisch nicht notwendigen Beschneidungen geschützt werden und so ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit gewahrt wird. So wie Florian. Der 22-Jährige ist sich sicher, dass seine Beschneidung als Kind medizinisch nicht nötig war. Über alternative Möglichkeiten wurden seine Eltern damals vom behandelnden Arzt nicht aufgeklärt. Jetzt will Florian vor Gericht klären, ob der Arzt falsch gehandelt hat.
Trotz zunehmender Kritik ist die Meinung, dass eine Beschneidung viele Vorteile bringe, noch immer weit verbreitet. In Afrika empfahl die WHO die Beschneidung im Kampf gegen Aids. Infolgedessen wurden Millionen Säuglinge und Jungen präventiv beschnitten. Doch viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bezweifeln, dass dadurch das Risiko einer Ansteckung mit HIV tatsächlich verringert werden kann. Nach zunehmender Kritik stoppte die WHO 2020 das Beschneidungsprogramm, doch die Auswirkungen der Kampagne sind noch heute deutlich zu spüren.
Die Dokumentation geht der Frage nach, wann eine Beschneidung medizinisch tatsächlich sinnvoll ist, und stellt die Ethik dieser jahrtausendealten Praktik kritisch in Frage.
Ablauf
- 00:00: Ein Teaser stellt Schlüsselszenen der Dokumentation vor.
- 01:45: Leitfaden der Dokumentation: Florian, 22, aus Deutschland, wurde mit 5 Jahren beschnitten. Begründung: Phimose. Wurde er unnötig beschnitten?
Geschichte und Statistiken der Beschneidung
- 03:11: Prof. Dr. Maximilian Stehr, Kinderchirurg, zeigt eine Beschneidung und stellt klar, dass dies keine Lappalie und in den allermeisten Fällen unnötig ist.
- 07:30: Eine Studie des Robert-Koch-Instituts hat ermittelt, dass in Deutschland ca. 10,9 % aller Männer beschnitten sind. Maximilian Stehr geht davon aus, dass nur 1 % aller Fälle medizinisch indiziert ist.
- 08:36: Die Geschichte der Beschneidung wird kurz zusammengefasst.
Afrika: VMMC bei Erwachsenen und Jugendlichen
- 10:10: Die WHO empfiehlt "Freiwillige medizinische männliche Beschneidung" in Afrika als Präventionsmaßnahme gegen HIV/AIDS. Es wird gezeigt, mit welchen Werbekampagnen die WHO versuchte, ihr Ziel von 2007 umzusetzen, bis 2021 mindestens 27 Millionen Männer in den am meisten von AIDS betroffenen afrikanischen Staaten zu beschneiden.
- 11:08: Die Ärztin Dr. Jutta Reisinger von Aktion Regen kämpft seit vielen Jahren gegen FGM. Jetzt setzt sie sich auch gegen MGM ein.
- 12:47: Zwei kenianische Jungen schildern, wie sie überredet wurden, beschnitten zu werden.
- 14:12: Der kenianische Philosoph und Pädagoge Dr. Atieno Kili K'Odhiambo spricht sich klar gegen medizinisch unbegründete Knabenbeschneidung aus.
- 15:34: Der französische Gesundheitsdemograph Prof. Michel Garenne erklärt, warum der Vorbeugungsschutz durch VMMC gegen HIV/AIDS genau 0,0 % ist.
- 18:13: Der Regionalleiter VMMC Kenia, Otieno Kohn Anyango, schildert voll Stolz, wie einfach es war, Jungen im Alter von 0 bis 14 Jahren zu beschneiden. Gerade die 10- bis 14-jährigen Jungen seien leicht zu erreichen gewesen.
- 19:05: Die Organisation Intact Kenya wird vorgestellt. Sie will über die Risiken der Beschneidung aufklären.
- 19:55: Der Lehrer Godfrey Ouma erklärt, warum es so einfach ist, in Kenia Eltern dazu zu bringen, Beschneidungsformulare auszufüllen, ohne sie ausreichend über die Operation und ihre Folgen aufzuklären.
- 21:10: Kennedy Owino Odhiambo, der Director von Intact Kenya, beschreibt, dass sie diese fehlende Aufklärungsarbeit übernommen haben.
- 21:58: 2020 reagierte die WHO auf die Kritik am VMMC und empfiehlt seither wieder, dass erst Jugendliche ab 15 Jahren beschnitten werden. Es bleibt fraglich, ob sich alle vor Ort daran halten.
- 22:15: Zurück zu Florian: Mit dem Urologen Dr. Thomas Kreutzig-Langenfeld bespricht er seinen Fall. Er bestätigt Florians Vermutung, dass er unnötig beschnitten wurde.
Intaktivismus
- 26:38: Der weltweite Intaktivismus wird am Beispiel des jährlich stattfindenden Worldwide Day of Genital Autonomy in Köln dargestellt.
- 27:07: Victor Schiering und sein Verein MOGiS e.V. werden vorgestellt. Sie fordern gleichen Schutz vor Genitalverstümmelung für Jungen und Mädchen.
Religiöse und kulturelle Beschneidung
- 28:16: Für Seyran Ateş, Rechtsanwältin und liberale Imamin aus Berlin, steht das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit an oberster Stelle.
- 29:17: Die Bloggerin Funda Celik, Mutter zweier Söhne, schildert, wie sie es schaffte, den Vater ihrer Söhne zu überzeugen, dass die Beschneidung auch für Muslime nicht nötig ist.
- 30:30: Sie interviewt den Betroffenen Tayfun Aksoy, der ihr schildert, wie er gegen seinen ausdrücklichen Willen unter einem anderen Vorwand im Krankenhaus beschnitten wurde.
- 32:15: Der Film streift kurz die jüdische Beschneidung Brit Mila, die üblicherweise am 8. Tag nach der Geburt eines Jungen durchgeführt wird.
- 32:34: Dann stellt er ein unblutiges jüdisches Alternativritual, die Brit Shalom vor.
- 32:48: Die französische Organisation Brit Shalom l’Alliance sans Souffrance unterstützt Brit Shalom in Frankreich. Das jüdische Ehepaar Sarah und Victor wird vorgestellt, das seinen Sohn nicht hat beschneiden lassen.
- 35:15: Der israelische Rabbi Nardy Grün stellt in einem Video-Gespräch mit ihnen klar, dass in Israel das Thema Beschneidung noch immer ein Tabu sei und dass schätzungsweise erst 2 % aller jüdischer Jungen und Männer nicht beschnitten sind. Doch als liberaler Rabbi sieht er keine Verpflichtung dazu, seinen Körper zu "zeichnen", um den Bund mit Gott einzugehen.
Studie über Beschneidungstrauma
- 37:47: Wieder zurück zu Florian. Der Film stellt eine Studie von Prof. Matthias Franz an der Uni Düsseldorf vor, die untersucht, welche psychischen Langzeitfolgen die frühkindliche Beschneidung haben könnten.
Afrika VMMC bei Kindern und Säuglingen
- 40:39: Zurück zu Jutta Reisinger, die in Kenia eine junge Mutter besucht, deren kleiner Sohn nach einer aufgeblähten Vorhaut beim Wasserlassen beschnitten wurde, obwohl dies allein keine medizinische Indikation darstellt. Anschließend hatte der Junge einen sogenannten "vergrabenen Penis", der sich komplett in den Bauchraum zurückzog.
- 42:38: Dr. Reisinger sendet Befundfotos an Prof. Maximilian Stehr, ...
- 43:44: ... der zu einer rekonstruierenden Nach-OP rät und es "verachtend" findet, wenn Ärzte an sich gesunde Kinder ohne medizinische Indikation operieren.
- 44:40: Die Mutter in Kenia hat kein Geld, um eine solche OP durchführen zu lassen.
- 44:57: Dr. Reisinger kann in einem Krankenhaus in Kenia bei einer Säuglingsbeschneidung zusehen und assistieren. Die Doku zeigt, dass der Junge trotz Gabe eines Schmerzlinderungsmittels stärkste Schmerzen empfindet und anschließend in Schockstarre fällt.
- 46:06: Dr. Reisinger stellt fest, dass die Mutter aufgeklärt wurde, der Beschneidung zugestimmt hat, aber der Junge selbst nicht zustimmen konnte und dass die medizinische Indikation fraglich ist.
Florians Prozess
- 47:03: Zurück zu Florian. Er wird vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gezeigt, wo seine Klage in 2. Instanz letzlich abgewiesen wird. Der beschneidende Arzt hätte alles richtig gemacht. "Der Kläger habe nicht beweisen können, dass die gestellte Diagnose nicht richtig gewesen sei. Auch seien keine Behandlungsfehler nachgewiesen und Aufklärungspflichten nicht verletzt worden." Dieses Urteil überrascht, da Florians Mutter nie über alternative Methoden aufgeklärt wurde.
- 49:14: Der Medizinrechtler Prof. Jörg Scheinfeld, der den Prozess begleitete, stellt fest, dass kindliche Interessen vor Gericht oftmals noch anders bewertet werden als Interessen Erwachsener. Für Florian bleibt unverständlich, dass der Arzt ihn damals beschneiden durfte, obwohl er beschwerdefrei war.
Neue Leitlinie Phimose, Forderungen, Fazit
- 50:13: Unter Federführung von Prof. Maximilian Stehr wurde 2021 eine neue Leitlinie zur Knabenbeschneidung[3] veröffentlicht, die den Rahmen für medizinische Indikationen deutlich enger steckt.
- 50:48: Victor Schiering fordert eine offene Diskussion in der Gesellschaft zu diesem Thema.
- 51:48: Im Fazit stellt die Dokumentation fest, dass die medizinisch nicht indizierte Beschneidung "das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung" verletzt.
Video
Auf YouTube gibt es eine Kopie der Dokumentation mit deutschen, englischen und niederländischen Untertiteln:
Presse-Reaktionen
- Jungen, Oliver (23. Juli 2022)."Wem gehört die Vorhaut?", FAZ. Abgerufen 3. August 2022.
- Evers, Raphael (28. Juli 2022)."Brit Mila – ein sinnvoller Schnitt", Jüdische Allgemeine. Abgerufen 3. August 2022.
- (4. August 2022).
Beschneidungs-Doku – Ben reagiert
, jungsfragen.de. Abgerufen 17. August 2022.
Weblinks
- (23. Juli 2022).
Jungenbeschneidung - Mehr als nur ein kleiner Schnitt
, arte.tv. Abgerufen 24. Juli 2022. -
TV-Erstausstrahlung: Jungenbeschneidung – Mehr als nur ein kleiner Schnitt
, ThurnFilm. Abgerufen 24. Juli 2022.
Einzelnachweise
- ↑
Insa Onken
, ThurnFilm. Abgerufen 24. Juli 2022. - ↑
Weltweiter Tag der Genitalen Selbstbestimmung 2017
. Abgerufen 24. Juli 2022. - ↑ (31. Dezember 2021).
Leitlinie: Phimose und Paraphimose bei Kindern und Jugendlichen
. Abgerufen 24. Juli 2022.