Vergleich MGM und FGM
Contents
"MGM und FGM kann man nicht miteinander vergleichen."
Vergleiche sind legitime Elemente jeder Diskussion, da Vergleichen eine grundlegende, auf Wahrnehmung basierende Methode ist, die dazu führt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Themen oder Objekten führt. Daher ist es grundsätzlich immer legitim, zu vergleichen, auch wenn die zu vergleichenden Themen oder Objekte nicht dieselbe Merkmalsausprägung haben. Der Vergleich kann eben zum Ergebnis führen, dass die verglichenen Themen oder Objekte gleich sind, oder dass sie ähnlich oder stark unterschiedlich sind.
MGM steht für Male Genital Mutilation (männliche Genitalverstümmelung). FGM steht für Female Genital Mutilation (weibliche Genitalverstümmelung).
Vielfach hört man, dass man MGM und FGM nicht miteinander vergleichen könne; FGM würde einen viel intensiveren Eingriff darstellen, so dass sich ein Vergleich von selbst verbieten würde.
Dieses Scheinargument ist in ein sogenanntes Totschlagargument[1], das dadurch funktioniert, dass viele Menschen erschütternde Bilder und Berichte über verstümmelte Frauen-Genitalien im Kopf haben, die durch dieses Argument abgerufen werden. Da in den Medien erschütternde Bilder und Berichte über verstümmelte Knaben-Penisse und die Folgen für die Betroffenen bislang nur selten geboten werden, ist bei uns nur selten eine vergleichbare Assoziation abrufbar, die sich auf MGM bezieht. So ist es leicht, dem Scheinargument nach oberflächlichem Vergleich mit unseren gespeicherten Assoziationen zuzustimmen.
Medien verbreiten oft nur einen Teil der verfügbaren Informationen. Vielen ist heutzutage z.B. gar nicht bewusst, dass man z.B. vor fünfzig Jahren, wenn überhaupt, auch bei Frauen und Mädchen von Beschneidung sprach. Die Verknüpfung des Begriffs Verstümmelung wurde durch den aufkommenden Feminismus und die politische Arbeit der Frauenbewegung vollbracht. Heute ist aufgrund der WHO-Klassifizierung der vorgefundenen FGM-Methoden bekannt, dass es weltweit gesehen die verschiedensten Arten von FGM gibt, die von geringfügigem Anritzen der Klitorisvorhaut bis zu brutalsten, tatsächlichen Verstümmelungen reichen. Betroffenen-Berichte wie z.B. der autobiografische Roman "Wüstenblume" von Waris Dirie sind, nicht zuletzt durch dessen Verfilmung, vielen als das gängige Assoziationsklischee von FGM vertraut.
Medial ist MGM als Verstümmelung noch nicht so sehr im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen, vor allem in der westlichen Welt. In Europa und den USA z.B. wird MGM regelmäßig mit "ärztlicher Eingriff", "OP", "steril", "kleiner Schnitt", Phimose, "hygienische Vorteile" und eben mit "religiöser Brauch" von Juden und Muslimen in Verbindung gebracht. Weltweit betrachtet gibt es durchaus ebenso viele Varianten von MGM wie von FGM, von denen viele uns ebenso "den Magen umdrehen" würden wie die Geschichte der "Wüstenblume". Australische Formen von MGM bei den Aborigines (Subinzision) oder die MGM-Initiationsriten in Teilen Afrikas haben mit unserer überwiegenden Assoziation nichts gemeinsam. Doch bisher hat die WHO eine entsprechende Klassifizierung der vorgefundenen MGM-Methoden nicht vorgenommen. Die politische Arbeit der Intaktivisten-Bewegung arbeitet seit einigen Jahren daran, diese Informationsungleichheit aufzuheben und die verschiedenen Formen sowie die Auswirkungen von MGM ebenfalls ins Bewusstsein der Gesellschaft zu tragen.
Das alles bedeutet nicht, dass in der Beschneidungsdebatte ein Konkurrenzkampf zwischen FGM und MGM zulässig wäre. Denn auf die Eingriffstiefe kommt es überhaupt nicht an, wenn es um die Beschneidung von Kindern geht. Jeder Mensch hat von Geburt an gewisse unveräußerliche Rechte. Dazu gehört auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit. In dieses Recht kann aufgrund medizinischer Notwendigkeiten eingegriffen werden, indem man z.B. impft oder eine notwendige Operation durchführt, die entweder das Leben des Kindes rettet oder aber die Lebensqualität erheblich verbessert.
Die Beschneidung ist jedoch regelmäßig weder medizinisch notwendig, noch führt sie zu einer Verbesserung der Lebensqualität. Daher bleibt sie rechtlich und ethisch immer eine nicht zu rechtfertigende schwere Körperverletzung an einem nicht einwilligungsfähigen Kind.
Jede weitere Diskussion könnte natürlich geführt werden, aber allein mit diesem Scheinargument der Unvergleichbarkeit sind alle möglichen Gegenargumente wirksam entkräftet, weil es an unsere gesellschaftlich konditionierte Moral appelliert. Dabei ist gerade bei der micht medizinisch begründeten Beschneidung sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen immens wichtig, die Art der Beschneidung, die Folgen und auch die Begründungen genau zu vergleichen, um überhaupt Gemeinsamkeiten oder Unterschiede feststellen zu können. Auch die Rechtfertigungsgründe für FGM sind vielfältig und erschreckend ähnlich denen, die für MGM vorgetragen werden.
Wer dieses Totschlagargument der Nichtvergleichbarkeit benutzt, will sich einer Debatte über die Sinnhaftigkeit der nicht medizinisch begründeten Beschneidung nicht stellen.
Medizinisch nicht begründete, irreversible Körpermodifikationen bei einem Kind liegen nicht im Entscheidungsspielraum der Eltern, sondern nur des Kindes, das im Erwachsenenalter mit seinem Körper machen kann, was es will.
Debra DeLaet (2009) hat die hat die unterschiedlichen Ansätze der internationalen Gemeinschaft untersucht, männliche und weibliche Beschneidung als ein Menschenrechte-Problem darzustellen.[2]
Siehe auch
Weblinks
-
Male and Female Genital Cutting Compared
[Männliche und weibliche Genitalbeschneidung im Vergleich] (Englisch), Circumcision Resource Center. Abgerufen 20. März 2021. - Difference Between: Male & Female Circumcision
Einzelnachweise
- ↑ https://de.wikipedia.org/wiki/Totschlagargument
- ↑ DeLaet DL. Framing Male Circumcision as a Human Rights Issue? Contributions to the Debate Over the Universality of Human Rights [Männliche Beschneidung als Menschenrechtsproblem darstellen? Beiträge zur Debatte über die Universalität der Menschenrechte] (Englisch). J Human Rights. 2009; 8: 405-26. DOI. Abgerufen am 14. Oktober 2022.