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Ein schwarzer Tag für die Kinderrechte - wie lange noch?/Transskript

16.901 Bytes hinzugefügt, 19:37, 15. Feb. 2022
K
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'''VS:''' Genau. Wir müssen wirklich den Gesetzestext mal angucken, oder?
'''CP:''' Schauen wir mal rein.
'''VS:''' Den haben wir ja jetzt noch nicht angeguckt in der zweiten Version, glaub ich, oder im zweiten Anlauf.
Das ist unser Recht gewesen bis zum [[12.12.2012]], uneingeschränkt, und dann kam dieser Paragraph. Den müssen wir jetzt mal durchgehen.
Seitdem heißt es dann:
<blockquote>
'''CP:''' Ja, aber wie will man sowas vergleichen? Wenn man jetzt sagt, also du hast auch zwei Hände, du zitterst nicht, du bist kein Alkoholiker, du bist wach, du hast 'nen Kittel an und du hast das geübt, …
'''VS:''' Nee, es kommt auf den Vorgang an, Christoph. Also, 'ne Injektion kann sicher eine Krankenpflegerin genauso gut geben wie ein Arzt.[…]
'''CP:''' […] Allerdings immer unter der Verantwortung des Arztes. Also unterschreiben für solche Sachen tut dann immer noch der Arzt. Und die MFA, oder was das in der Praxis macht, handelt quasi im Auftrag.
Ja, wie machen wir weiter? Vielleicht [damit,] was danach passiert ist. Denn es gibt … Also bis dato, bis zu diesem [12.12.2012], gab es ja überhaupt kein Sondergesetz zu dem Thema. Es gab allerdings schon ganz lange Forderungen von Frauenrechtlerinnen, insbesondere weibliche Genitalverstümmelung zu verbieten. Und das ging Jahre lang durch die politische Landschaft mit auch ähnlichen Begründungen damals, immer wieder erschwert, dass man sagte, man mische sich in andere Kulturen ein und das sei alles ganz schwierig und so.
Und dann komischerweise ein halbes Jahr, nachdem Jungs schutzlos gestellt wurden, da gab's dann auf einmal das Strafrechtsverbot, [das] strafrechtliche Verbot von allen Formen weiblicher Genitalverstümmelung. Ich glaube ja, dass diese zeitliche Abfolge kein Zufall ist, weil natürlich viele Interessenverbände auch von Frauenrechten nervös waren, weil die ja auf einmal leibhaftig erlebt … also nicht leibhaftig, aber wir alle [in] der Gesellschaft erlebt haben, wie auf einmal Menschenrechte teilbar wurden und wieder diskutiert werden konnten. [Dass] sie eben nicht mehr universell galten, sondern [dass die Menschen anfingen] zu diskutieren, wieviel darf man eigentlich bei wem abschneiden, dass das noch okay ist, und so …
Also das war ja unglaublich. So'ne Diskussion hat es ja vorher in dem Sinne noch nie gegeben. Und um das dann schnell zu beruhigen, denk' ich, war das mit ein Impuls - das kann kein Zufall sein - dass es dann im Juni des Jahres darauf eben diesen Strafrechtsparagraphen gab. Den können wir auch mal durchgehen.
Besonders schlimm ist daran, dass sogar eine Überprüfung dieses Gesetzes aktiv abgelehnt worden ist. Dazu muss man wissen, dass es absoluter Standard ist, dass Gesetze, die medizinische Fragen betreffen, evaluiert werden. So nennt man das ja, also überprüft werden nach einer gewissen Anzahl von Jahren. Und dass eigentlich auch sofort in dem Gesetz festgelegt wird, wann das passiert. Weil man ja ein Interesse daran hat, den aktuellen Wissensstand weiter zu verfolgen, eventuell auch Forschung in Auftrag zu geben, zu finanzieren, damit sich die Gesetzgebung eben an Wissenschaft orientiert. Wobei wir wieder bei dem sind, aktuell gerade: genau, an Wissenschaft orientiert.
Da gab es einen Änderungsantrag von einigen SPD-Abgeordneten, der das vorsah. Und dieser Änderungsantrag ist abgelehnt worden.
'''CP:''' … mit den gleichen Stimmen, mit denen das ganze Gesetz verabschiedet wurde? …
'''CP:''' Aus aktuellem Anlass, weil wir haben ja gerade eine neue Regierung: Wen haben wir denn in der Regierung, der damals in irgendeiner Form beteiligt war oder mit abgestimmt hat? Und die andere Frage wäre: Erhoffst du dir von der neuen Regierung auch da, dass da vielleicht irgendwas in Bewegung kommt, was jetzt einfach die letzten 16 Jahre nicht mehr in Bewegung gekommen wäre?
'''VS:''' Also, zum Ersten kann man sagen ... Wer ist da jetzt? Zum Beispiel unser jetziger Justizminister, Herr Dr. Buschmann. Er hat damals für das Gesetz gestimmt.
'''CP:''' [[FDP]], ja?
'''VS:''' [[FDP]]. Ja. Also, [er] ist Jurist und hat so einem Gesetz zugestimmt. Das Gesetz ist mehrfach verfassungswidrig: [Es] verletzt das Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Gleichberechtigung, Gleichheit der Geschlechter. [...] Es ist natürlich diskriminierend ...
'''CP:''' Ja, also aus der juristischen Ecke gibt's ja niemanden, der das Gesetz in irgendeiner Form feiert.
'''VS:''' Ooch, naja. Also 2012 gab's da natürlich auch Leute, ...
'''CP:''' ... die es verteidigt haben vielleicht, aber ...
'''VS:''' Ja. Seitdem sind die alle ziemlich verstummt. Die äußern ... Wir haben ja auch manchmal Juristen, die das befürwortet haben, eingeladen zu Veranstaltungen. [Die] sind dann aber nicht gekommen. Also, [das] kann ich auch verstehen. Ich würd' mich damit heute auch nicht mehr hinstellen. Aber das Schlimme ist eben: Sie haben Verantwortung. Sie müssten sich der ja eigentlich stellen. Sie müssten heute öffentlich sagen: "Das war falsch. Ich entschuldige mich bei den Betroffenen dafür." Das wär' wichtig. Nee, die verstummen.
== Claudia Roth ==
Entschuldige, dass ich da manchmal so'n bisschen sarkastisch werde. Ich glaube, ich schütze mich davor, dass mich das zu sehr trifft, dass ich dann manchmal in so eine Haltung dann gerate.
CP: Naja, also die elterliche Fürsorge sollte ja vor allem dem Willen der Kinder dienen. Also das ist ja das, dass die ...
'''VS:''' Ja, Entschuldigung, wie war die denn geregelt seit dem Jahr 2000? Und zwar - Frau Roth war da ja glaub ich auch im Bundestag, [ich] schätz' mal, sie war Teil ... ich weiß nicht, sie war ja manchmal auch raus ... ich bin nicht ... Nee, ich glaub', sie war die ganze Zeit da. Sie wird das mit beschlossen haben im Jahr 2000, das Recht auf gewaltfreie Erziehung.
''[Anmerkung IntactiWiki: "1998 wurde sie in den Deutschen Bundestag gewählt. Hier übernahm sie den Vorsitz des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe."<ref>{{REFweb
}}</ref>]''
Was muss denn da geändert werden, fundamental, wenn man es auch anwendet? Das ist wirklich ... Da kann man wirklich sich nur an den Kopf fassen.
Und das andere, was ich so krass finde, ist: "allein auf den Willen der Kinder". Es geht um das Recht auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung. Das wird hier ...
'''CP:''' Und sie stellt's dar, als will das Kind einfach einen Lolly nach 18 Uhr essen, und das ...
'''VS:''' ... das wird zum Willen herabdegradiert. Grundrechte werden zum Willen herabgestuft. Also ich bin immer noch fassungslos, wie man sowas hat verschicken können.
'''CP:''' Sie hätten auch "Laune" reinschreiben können.
'''VS:''' Ja! Also auch da ... Ja, seitdem haben wir von ihr zu dieser Frage nie wieder etwas gehört. Sie bekommt natürlich auch, wie alle Bundestagsabgeordneten des demokratischen Spektrums immer mal wieder Post von uns, auch zu Veranstaltungen. Ich habe noch nie eine Antwort aus dem Büro Roth bekommen nach dem Gesetzesbeschluss. Ja, das ist toll.
Was haben wir denn noch so für ...
== Karl Lauterbach ==
'''CP:''' Ja, unser Gesundheitsminister Lauterbach ist natürlich auch schon ...
'''VS:''' Ja, Herr Professor Lauterbach. Der hat auch diesem Gesetz zugestimmt. Also [da] werden sich jetzt wahrscheinlich viele auch denken: "Das kann ja nicht sein. Der ist ja nun wirklich jemand, der darauf hätte hören müssen, auf seine Fachkollegen aus der Pädiatrie." Wir haben damals keine Äußerung von ihm vernommen. Er hat dem aber zugestimmt.
== [[VMMC Experience Project|VMMC]] ==
Er hat sich dann einige Jahre später mal geäußert in der ''taz'', als es um die Beschneidungsprogramme an afrikanischen Kindern ging zur vermeintlichenv [[HIV]]-Prophylaxe - ein Riesen-Themenfeld. Da weiß ich selbst bei unserer heutigen langen Sendung nicht, ob wir das im Detail besprechen können. Aber da ist er von der ''taz'' befragt worden, ob er es denn gerechtfertigt findet, dass man Kinder verletze - Kinder, nicht sexuell aktive Kinder - zur vermeintlichen Prophylaxe von sexuell übertragbaren Krankheiten. Und da hat er in der ''taz'' geantwortet, das sei eine ethische Frage, zu der er sich nicht äußern könne. Da denk ich heute auch immer dran, wenn er ... er tritt ja jeden zweiten Tag oder doppelt in Talkshows auf und da wird die Ethik ja auch immer sehr und die Verantwortung immer sehr hochgehalten. Das war eine ethische Frage, zu der er sich nicht äußern würde. Warum eigentlich nicht? Das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob er das je ausgerichtet bekommt, was wir heute hier über ihn sagen. Aber [das] kann man nicht begreifen, wie sowas zustandekommt. Und die ''taz'' hat damals sehr gut recherchiert. Sie hat ihn eben als Gesundheitsexperten der [[SPD]] zu dieser Frage angesprochen, da er diese Programme auch ...
'''CP:''' Ich glaub', wir können kurz 'n bisschen drauf eingehen, was da passiert, weil - das hat ja nun mit Krankenhäusern und medizinischer Sorgfalt, wie das vielleicht sogar im [[§ 1631d BGB|1631d]] verlangt wird, nun mal gar nichts mehr zu tun, was dann da passiert im Auftrag von Menschenrechtsorganisationen.
'''VS:''' Es geht um Kinder. Wir müssen uns das immer wieder bewusst machen. Es geht nicht um Erwachsene, die sich selber wehren können. Das ist der ganz große Unterschied zu vielen, vielen anderen Debatten. Hier muss man sich für andere schon mal aus dem Fenster lehnen, weil die das selber nicht können. Das ist leider nicht passiert.
'''CP:''' Wir haben schöne Zitate ...
'''VS:''' Oh, was hast du da rausgesucht? Irgendwas von 2012?
== Feridun Zaimoglu ==
'''CP:''' Äh, ja. Also, es ist wirklich hart, weil man ... man sagt so oft Sachen dahin und ist 'n bisschen flapsig und sowas, macht sich aber ganz selten Gedanken, ob es Menschen gibt, die das vielleicht gar nicht witzig finden oder die das einfach zu flapsig finden. Und wenn man jetzt mal einfach auf so Sprachregelungen schaut, die da offensichtlich keine Rolle gespielt haben ... also, [das] sind so Sachen wie "Schnippschnapp, Läppchen weg, Knabe im Eimer." ...
'''VS:''' Kannst du das nochmal langsam sagen?
}}
Das ist'n Zitat von [...] Feridun Zaimoglu, ein Autor, der gerade am Theater, und ich liebe die Adaptionen von ihm, die er mit Shakespeare gemacht hat und sowas, weil er 'ne sehr drastische Art und Weise hat, Sprache einzusetzen. Nur ist das das Eine, wenn das auf der Theaterbühne passiert, oder das andere, wenn ich das in 'nem wichtigen Artikel in der ''ZEIT'' dann äußere ...
'''VS:''' ... in 'nem politischen Zusammenhang, wo's darum geht, dass Kinder entrechtet werden. Das ist das Entscheidende.
'''CP:''' Genau, und das wollt' ich sagen, das ...
'''VS:''' Das ist hammerhart.
'''CP:''' ... und würde es auch da, würde es um weibliche Genitalbeschneidung gehen oder um Genitalverstümmelung gehen, hätte man ihm den Satz um die Ohren gehauen, wahrscheinlich.
'''VS:''' Das hoffe ich sehr, dass man da gesagt hätte: "Wie redet man über sowas? Wo ist denn bitte eine würdevolle Sprache?" Ja, das stimmt.
'''CP:''' Es gibt halt ...
'''VS:''' Ja, das gehört zu den Dingen, die eben diese Debatte mit sich gebracht hat an schlimmen Folgen, was ...
'''CP:''' ... immer dieses "Stückchen" Haut, und dann heißt es, ein "Fetzen" Haut ...
'''VS:''' "Fetzen" Haut, ja ...
'''CP:''' ... das sind ganz viele ... also hier ...
'''VS:''' [Sowas] steht in Zeitungen.
== Küchentisch-Beschneidung ==
'''CP:''' Und es kumuliert dann darin, dass dann einfach auch noch unter pseudo-wissenschaftliche Äußerungen hier geschrieben wird: "Die Funktion des Penis ist in keinster Weise beeinträchtigt." - Von der leitenden Staatsanwaltschaft Nürnberg 2019 jetzt ...
'''VS:''' Ach so, ja. Das war 2019. Das war sehr interessant. Den Fall könnten wir auch nochmal auf... auf… weil er auch zu den Folgen dieses Gesetzes gehört, ne? Ja, das können wir ja jetzt erzählen.
'''CP:''' Ja klar.
'''VS:''' Das war 'ne Küchentisch-Beschneidung in Nürnberg durch einen Arzt zuhause, und das Kind ist schwer verletzt in die Klinik eingeliefert worden ...
'''CP:''' Also langsam. "Küchentisch-Beschneidung"? Heißt das, das passiert ...
'''VS:''' ... zuhause ... bei dem Baby ...
'''CP:''' ... bei dem Baby zuhause. Aber von einem Arzt, oder ...?
'''VS:''' Ja, von dem Arzt. Also es war eigentlich noch 'ne "Luxusvariante" der jetzigen Gesetzgebung. Es könnte ja auch ein Nicht-Arzt machen, den man irgendwie [ver]gleichbar für befähigt erklärt hat.
'''CP:''' Okay, das ist schiefgegangen. Weiß man warum?
'''VS:''' Nö. "Mit starken Blutungen ..." stand dann in der Zeitung, also das kam sogar auch richtig in den Medien. Und dann wurde ... tja, ist die Staatsanwaltschaft tätig geworden. Und das Verfahren ruhte dann sehr lange. Ich war sehr gespannt, ob das irgendwann mal weitergeht. Und dann anderthalb Jahre später ging dann durch die Medien, dass das Verfahren eingestellt worden sei, weil sich die Folgen doch nicht als so schlimm herausgestellt haben. Und dann hat die Staatsanwaltschaft in Nürnberg gesagt, die Funktion des Penis sei in keinster Weise beeinträchtigt.
Und da hab ich auch wieder wirklich ... haben wir wieder so vor Augen geführt bekommen, was dieses furchtbare Gesetz - und diesen Jahrestag begehen wir heute - angerichtet hat. Dass man so über Genitalien sprechen darf, über anderer Leute Genitalien, wo ein Teil fehlt, ein hocherogener. Dass ich einfach für andere festlegen darf, die Funktion ist nicht beeinträchtigt, obwohl ein Teil des Organs fehlt, was eine Funktion hat, und damit auch eine Funktion natürlich verlorengegangen ist. Das sagt dann so eine Dame einfach. Dass da kein...kein…
'''CP:''' Wenn mir in 'ner Operation durch 'nen Kunstfehler irgendwie 'ne halbe Niere weggenommen wird, dann würde danach auch keiner sagen: "Aber was willst'n, deine Niere funktioniert doch noch?" Natürlich wäre ich einfach ... hätt' ich halt Anspruch auf Schadensersatz, auf Schmerzensgeld, auf was ... Also, da würden Leute halt haften dafür, wenn da einfach 'n Fehler passiert ist, der nicht hätte passieren dürfen.
'''VS:''' Du meinst, wenn ein Teil der Niere dann weg wäre, oder? Funktioniert die dann noch? Da kenn ich mich nicht so aus ...
'''CP:''' Da ist 'n Teil der Niere weg, ja, als Beispiel jetzt, aber dann würde man auch nicht sagen, das funktioniert doch noch. Sondern ... der Teil ist weg. [...]
'''VS:''' Der Teil ist weg. Und im Endeffekt war das eben dann auch folgerichtig nach der jetzigen Gesetzgebung, dass das Verfahren eingestellt worden ist, denn das, was da passiert, war ... war ja erlaubt. Das hat man ja erlaubt! Man hat ja die Hausbeschneidung erlaubt, ja? Und das Risiko allein dem Kind aufgebürdet. ''[VS meint: "aufgebürdet"]'' Das Kind hätte auch sterben können - es hätte sterben können. Und dann sagt man: "Ja, es war aber doch alles passiert, so wie wir das von Gesetzes wegen erlaubt haben. Pech drum!"
Und das ist das Schlimme. Und das ist seit diesem Tag erlaubt.
'''CP:''' Also jetzt ... sagen wir mal so: Da hat ein Kind tatsächlich noch Glück im Unglück gehabt ...
'''VS:''' Ja.
'''VS:''' Das geht gerade groß durch die Medien in Australien. Ich hab heute auch mit einer befreundeten Organisation, mit dem [[Darbon Institute]], noch telefoniert, heut' nachmittag, über den Fall. Dort sind zwei Brüder nachts in die Klinik eingeliefert worden und der Zweijährige ist verstorben. Wahrscheinlich an einem Anästhesie-Fehler. Die Vorhautamputationen wurden in einer Klinik durchgeführt. Und der kleine Bruder wurde mit einer Notoperation gerettet. Und gut, dass du das ansprichst. Denn das passt gut auf diesen Nürnberger Fall, weil die Polizei in Australien gesagt hat, der Fall des toten Jungen sei unverdächtig, weil die Vorhautamputation ja in einer Klinik durchgeführt wurde. Damit ist der Fall vom Tisch. Mehr kann man für den Jungen nicht tun. Das zeigt es nochmal richtig deutlich, wie das Risiko eben allein dem Kind obliegt und niemandem anders. Das Kind zahlt ganz allein den Preis, nicht wahr? Und jetzt wurde zwar alles getan, was die Polizei meint, [das] man für das Kind tun könnte, aber es ist leider tot. Das ist so, ja.
Und ... ja ... Wir hatten vor vier Wochen auch einen Fall von weiblicher Genitalverstümmelung. Darüber bin ich jetzt auch unterrichtet worden durch unsere australischen Freunde. Und zwar geplanter weiblicher Genitalverstümmelung. Und da kam es jetzt zu einer Bewährungsstrafe. Und das ist auch sehr interessant. Wirklich ... den Bericht hab ich mitgebracht, weil ich den sehr spannend finde, auch was den Schutz von Mädchen und Frauen angeht. [Blättert.] Oder hab ich den hier? Ich weiß eigentlich auch ziemlich aus dem Kopf, und zwar ging der Bericht so ab ... (Oder hast du den bei dir? ... Nee, den hast du nicht, ne?) ... das in dem Artikel halt stand: Ja, es kam zu einem Urteil und eine Mutter ist tatsächlich zu einem Arzt gegangen, zu einer befreundeten Ärztin aus ihrer Community, und hat die gebeten, diese Genitalverstümmelung vorzunehmen. (Hier hab ich die Sachen alle.) Und diese Ärztin hat dann natürlich aber gewusst, dass das verboten ist und hat im Endeffekt die Polizei angerufen. Und so ist dieser Akt, der Gott sei Dank ... also dieser Plan aufgeflogen.
Und als ich den Bericht gelesen hab, [hab] ich mich die ganze Zeit gefragt: Ja, wann erfahre ich denn jetzt endlich, was konkret mit dem Mädchen passieren sollte? Denn wir wir eben ja durchgenommen haben, ...
'''CP:''' ... gibt es diese vier ...
'''VS:''' Es gibt diese vier Arten. Weibliche Genitalverstümmelung erstmal lehn' ich natürlich grundsätzlich als Menschenrechtsverletzung ab. Aber ich weiß, dass es eine große Variation gibt, und ich weiß, dass die Unterschiede groß sind. Das weiß ich auch bei mir selber. Also mir ist auch klar, dass das, was mir passiert ist, anders [ist], als es anderen Jungs passiert. Dazu haben wir auch Beispiele da, zum Beispiel in Afrika. Da gab's einen großen Bericht, den hol' ich gleich auch noch hervor. Der ist sehr wichtig, den hab ich hier - kann ich auch mal in die Kamera halten - der ist aus dem Jahr 2018: "Die Prüfung ihres Lebens". [VS hält Zeitungsartikel in die Kamera.]
Da les ich gleich auch noch vor, was die da erdulden und erleiden müssen. Ich seh' schon ein, dass das ein Unterschied ist zu mir, auch wenn ich beides ablehne. Das nur mal noch als Hintergrund.
Ich wollte das gerne erfahren, jedenfalls auch in diesem Bericht aus den australischen Medien, hier vom 22. November 2021. Das Interessante ist, das erfährt man immer nicht. Hier steht zwar "furchtbar - barbaric", und "entsetzlich". Also da wird mit solchen Adjektiven gearbeitet. Dann kommt, nachdem so die Vorgänge, ja, die ich eben erklärt hab', mit der Ärztin und so, geschildert werden, kommt irgendwann auf einmal eine Beschreibung von weiblicher Genitalverstümmelung, wo dann steht: "Zu den extremeren Formen der weiblichen Beschneidung gehören die vollständige Entfernung der Klitoris ..." - Da muss man auch mal wissen, dass die Klitoris zu 90 % ein innenliegendes Organ ist. Die wird nie vollständig entfernt. Da müsste der ganze Unterleib aufgeschnitten werden. Schlimm genug, wenn man nur zehn Prozent und die Spitze entfernt. Aber es ist einfach anatomisch auch schon wieder falsch. - "... und der Schamlippen sowie die teilweise Vernähung der Vagina. Sie ist in vielen Ländern verboten, aber zum Beispiel in Uganda wird sie noch praktiziert."
Uganda? Wir reden gerade von Australien. Und ich hab vorher gehört, dass die Mutter aus Singapur kommt, was auch nicht Afrika ist. Und ich weiß, dass in Singapur viel von medikalisierten Formen weiblicher Genitalverstümmelung vorkommen, die weniger invasiv sind als diese maximale, die wir vorhin oder auch beschrieben haben oder auch hier steht ...
'''CP:''' Medikalisiert heißt über Hormone oder ...?
'''VS:''' Nee, das wird von Ärzten gemacht, ganz steril, also nicht mit rostiger Rasierklinge im Wüstensand und so, sondern im Prinzip so wie auch in westlichen Ländern viel männliche Genitalverstümmelung vollzogen wird. Das wusste ich, das hatte ich ja gelesen. Da war mir klar, das wird höchstwahrscheinlich halt auch so, mit großer Wahrscheinlich auch so eine Form sein. Weil sie eben in dem Land stark verbreitet ist, wo die Mutter herkommt. [Das] erfahr' ich aber nicht. Ich erfahr' jetzt nur irgendwas über Afrika. Dann les ich weiter und les ich weiter und ganz am Schluss kommt dann als Begründung dafür, dass die Bestrafung eben nur eine Bewährung beinhaltet, dass es eben nur eine Form wäre, also nicht so schlimm ist, wie das in Teilen Afrikas passiert. Das wird dann auf einmal gesagt.
Und das find ich wirklich sehr spannend, dass ich das erst ganz am Schluss erfahre, wo ich davor auf Praktiken hingewiesen werde, die da gar nicht eingetreten sind. Also "eingetreten" ist ja Gott sei Dank sowieso nichts. Aber die auch überhaupt nicht geplant worden sind. Und was ich auch sehr interessant finde, ist, dass das Gericht auch klar gesagt hat, dass es für sie keinen Religionsbezug in irgendeiner Weise gelten lässt. Denn die Mutter hatte also gesagt, das sei für sie in ihrer Kultur ein Geschenk an Gott, das mit der Tochter zu machen. Und da hat das Gericht gesagt: Ja, für sie sei das aber kein Geschenk an Gott. Die lassen das einfach nicht gelten. Nicht, das muss man sich auch mal vorstellen: Also hier beheimatete Kulturen würden bei männlicher Genitalverstümmelung vor Gericht stehen und da was von Altem Testament oder göttlichen Geboten erzählen, und ein Gericht würde sagen: Für uns ist es aber nicht so. Also, was da los wär' von Religionsverbänden, wie die sich wehren würden dann dagegen ... Wenn Mädchen Opfer sind, kann man das leichter tun. Find' ich auch interessant.
Also das ist hier mit Australien.
Würden Sie diesem Satz zustimmen? - Wir haben ja heute schon auch über diesen Begriff geredet. Vielleicht schon zu viel geredet, dass jetzt zu viel nachgedacht wird. Aber einfach mal für sich überlegen: Stimme ich dem zu - oder nicht? Brauchen Sie ja nicht zu sagen, einfach nur für sich.
Und jetzt sag ich Ihnen mal, wo dieser Satz herkommt. Der kommt aus einem ... und dir sag ich's natürlich auch ... aus einer Stellungnahme des Australian Highest Court, also dem höchsten Gerichtshof Australiens. Und da ging es vor einigen Jahren um einen Fall von weiblicher Genitalverstümmelung. Das waren religiöse Leute, die das getan hatten, an zwei Mädchen. Und die hatten Einspruch erhoben gegen das Urteil. Die waren also zu 15 Monate[n] Gefängnis verurteilt worden. Die medizinischen Gutachten hatten ergeben, dass die Klitorisspitze unberührt sei bei den Mädchen. Und insofern hatte die Verteidigung argumentiert, eine Verstümmelung läge nicht vor. Und jetzt kommt der Satz. Der Court hat aber gesagt, die Klitorisvorhaut, die Entfernung der Klitorisvorhaut würde den Begriff der Verstümmelung rechtfertigen, da die Klitorisvorhaut zur Klitoris gehöre.
'''CP:''' Ja.
'''VS:''' Und jetzt kann jeder mal für sich überlegen, ob man anders diesen Satz bewertet hätte, wenn man vorher gewusst hätte, dass es nicht um die Penisvorhaut, sondern um die Klitorisvorhaut ging. Und das find' ich sehr spannend, weil, wenn man jetzt im Nachhinein denkt: Oh, dann hätt ich's anders entschieden, dann ist das vielleicht ein Zeichen dafür, wie wir selber kulturell stark geprägt sind, auch gerade, was Geschlechterstereotype angeht, und das uns in unserer Urteilsfindung beeinflusst. Jetzt kann man sich überlegen: Wenn das Gericht hier sagt, die Klitorisvorhaut gehört zur Klitoris, wozu gehört denn dann die Penisvorhaut? Und warum soll das dann anders sein? Und wenn es nicht anders ist, ... -
Ja, ich weiß nicht, ich glaube, man sieht hier auch immer mehr, wie stark diese Dinge zusammengehören. Das Gericht kann ja nur unter ganz großer Widersprüchlichkeit den Schutz von Mädchen auch vor dieser Form von weiblicher Genitalverstümmelung aufrecht erhalten. Und das ist schlimm. Weil ich will, wir wollen, dass Mädchen widerspruchsfrei geschützt sind vor Gerichten, und nicht im Endeffekt mit Not und sonstwie irgendwie noch gerade verteidigt werden, aber man eigentlich weiß: Das beißt sich alles hinten und vorne aufgrund der sonstigen Rechtsprechung. Das fällt uns alles auf die Füße.
Ich hab mich sehr gewundert, als es in den USA vor einigen Jahren dann zu diesen Schwierigkeiten bei den ersten [[FGM]]-Prozessen - das waren ähnliche Fälle wie in Australien - kam und das eben zu scheitern drohte. Im Endeffekt kam's da ja auch nicht zu wirklichen Verurteilungen. Nicht nur aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes, sondern auch wegen föderalistischen Fragen in den USA, der Zuständigkeiten. Weil ich dachte, da muss doch jetzt eigentlich ein Aufschrei durch die Menschenrechtsbewegungen dieser Welt gehen. Weil, dass [[FGM]], weibliche Genitalverstümmelung, bestraft wird, ist ein ganz langes Ziel, seit Jahrzehnten. Und die Gleichberechtigung der Geschlechter auch. Und jetzt kommt es zum ersten Prozess in den USA und das eine Ziel wird gefährdet durch das andere Ziel. Und aus einem einzigen Grund: weil man Jungen weiter schutzlos stellt.
Und komischerweise schien das aber niemandem so richtig aufzufallen. Ich hab damals einen Artikel für unsere Homepage geschrieben, weil ich dachte: Das ist doch komisch, das ist doch furchtbar. Da muss man ja doch mal irgendwie umdenken und sagen, unsere Ziele sind offensichtlich gefährdet. Also selbst, wenn's einem nur um Mädchen und Frauen ginge ...
'''CP:''' Ja.
'''VS:''' Das find' ich ... Bis heute ... kann ich das eigentlich nicht verstehen. Nicht, dass selbst das nur so langsam dazu führt - es kommt langsam in Schwung - aber dass man sieht, im Endeffekt setzen wir uns alle für die gleiche Sache ein. Es geht darum, dass Kinder mit den Genitalien, mit denen sie auf die Welt kommen, akzeptiert werden.
'''CP:''' Ihr arbeitet ja auch viel mit Frauenrechtsorganisationen zusammen und habt da Erfahrung mit.
'''VS:''' Ja, immer schon, jaja ... Die haben ja auch damals das Kölner Urteil ganz stark unterstützt. Die haben das gesehen. Und das passiert Stück für Stück. Aber im Endeffekt kann man das nur zusammen gewinnen, das merkt man ganz klar.
== Ästhetische Motive ==
'''CP:''' Was ich jetzt nochmal auch für die Zuschauer auch nochmal rausformen möchte, also jetzt ... es geht mir ... [es] kam jetzt ein bisschen zu kurz, weil wir haben jetzt von einem Arzt in Australien gesprochen und einem Kind in Nürnberg, das gerade nicht gestorben ist. Aber es gibt schon auch in der westlichen Hemisphäre, auch in den USA oder sowas, wo ja sehr viel beschnitten wird, auch aus ästhetischen Motiven, gibt es ja immer wieder Opfer. Es sind jetzt leider trotzdem wenig ...
'''VS:''' Entschuldigung: "Ästhetische Motive". Können wir das nochmal kurz eben, da gleich reingrätschen?
Entschuldige, dass ich da reingegrätscht hab'. Das waren nur die USA.
'''CP:''' Nein, ich greif's aber dann trotzdem auf, weil Du sagst: die Rechtfertigungsgründe. Und also auch da - nicht nur, aber bleiben wir halt in den USA: Auch Geld spielt da 'ne Rolle. Also das ist ja immer der größte Motivator, gerade bei so Sachen ... Das haben wir an der Tafel gesehen eben von dem Cornflakes-Menschen von 1888.
'''VS:''' Es war der Bruder, glaub ich. Es war nicht der direkte, nicht?
'''CP:''' Okay, also man kann noch Cornflakes essen? [Lacht]
'''VS:''' Ja Gott, äh ... [lächelt]
'''CP:''' Nein, aber wo irgendwann jetzt man, wenn man recherchiert, man herausfindet, warum eigentlich tatsächlich was entstanden ist, was überhaupt nichts mit den heute vorgeschobenen Gründen zu tun hat. 'Ne ähnliche Geschichte ist ja die Kriminalisierung von Hanf, die ja tatsächlich zurückgeht auf die Tatsache, dass die Papierindustrie sich halt Sorgen machte, dass da ein günstiges Alternativprodukt kam ...
'''VS:''' Ach so!
'''CP:''' ... und man deswegen tatsächlich angefangen hat, mit damals auch schon Lobbyismus weltweit und halt einfach den Einfluss überall geltend zu machen, dass möglichst alle Länder dieses Hanf kriminalisieren.
'''VS:''' Okay ...
'''CP:''' Und das ist 'n ganz banaler Grund gewesen. Da war dann zwar halt 'n großer Industriezweig, der halt Sorge hatte, dass es ihm schlecht geht. Und die hatten halt den Einfluss auf die Politik, und dann kommt der Stein mal ins Rollen. Warum er dann rollt, [darüber] macht man sich ja später keine Gedanken mehr, sondern man macht ja da weiter. Und irgendwann ist halt das Dogma: Das ist jetzt gefährlich, das muss bekämpft werden. Warum das ursprünglich so war, das interessiert dann keinen mehr.
Und das ist jetzt so'n bisschen da auch, dass man sich denkt: Schau mal, das ist doch alles, damit's hygienischer ist, oder damit man 'ne AIDS/HIV-Prophylaxe hat, oder was auch immer. Aber es kommt ganz banal daher, dass einfach Macht ausgeübt wurde von alten Menschen auf junge Menschen und: Ich durfte meine Sexualität nicht ausleben, du darfst das auch nicht.
'''VS:''' Das sind sicher unbewusste Faktoren, die einen ganz starken Motor darstellen. Aber du wolltest glaub ich eigentlich zu Unglücken und weil ...
'''CP:''' Genau, deswegen. Aber in der großen Menge an Beschneidungen, die in den USA stattfinden, und das sind halt millionenfach[e], da fallen dann die 100 Kinder, die da jährlich daran sterben, nicht auf. Aber es sind 100 Kinder, die sterben, die ...
== Beschneidungstod in Afrika ==
|Text=Als der Schnitt gesetzt ist, spürt Tokali gar nichts, sein Körper ist voller Adrenalin. Der Beschneider legt ein Blatt um Tokalis Penis, bindet eine Bandage straff darum. Dann kriecht Tokali benommen in eine der Reisighütten.
[...]
Am ersten Tag [Aber erst Tage später] hat Tokali das Gefühl aufzuwachen. Er schaut auf seinen Penis und erschrickt. Er blickt auf verwesendes Fleisch. "Warum ist das schwarz?", fragt er den Aufseher. "Das heißt, dass es schnell heilt."
[...]
Nach drei Tagen löst sich das tote Gewebe von seinem Penis. Tokali fragt den Doktor:
"Das kann ich nicht beantworten."
[...]
"Um ein Mann zu sein", habe der Doktor gesagt, "brauchst du keinen Penis, du brauchst keinen Sex. Ein Mann zu sein, das bedeutet viel mehr."
Also da sterben viele Kinder und Jugendliche. Es ist immer eine Frage, wie das ausgeführt wird. Es gibt eben auch bei männlicher Genitalverstümmelung eine ziemliche Bandbreite, wie das passiert. Das hat nur nie die WHO auch wirklich mal so zusammengefasst und beschrieben. Es gibt keine Programme der WHO, auch diese extremen Formen in irgendeiner Art und Weise einzudämmen. Das sind, wenn [überhaupt], nur lokale Initiativen oder Initiativen einzelner Länder. Das Grundrecht aller Kinder auf die Genitalien, mit denen sie zur Welt kommen, wird nirgendwo thematisiert.
CP: Was sich auch verändert hat in den letzten Jahrzehnten, sind die Erkenntnisse, was das Schmerzempfinden ja betrifft. Und deswegen, also jetzt im Gesetz steht ja, dass es möglichst wenig Schmerzen ver...ver…
'''VS:''' ja, nötigen, nicht möglichst, sondern die nötigen oder unnötigen Schmerzen, ja ...
'''CP:''' ja, die nötigen oder unnötigen Schmerzen ...
'''VS:''' Das stand nicht im Gesetz. Das stand in dem Aufruf, ein Gesetz zu entwickeln.
'''CP:''' Ach ja, damals, genau. Aber es ist jetzt wirklich ... was macht das denn noch mit den Kindern? Ich meine, es ist ja, man geht davon aus, dass da Traumata verursacht werden, die halt einfach bleiben. Dass tatsächlich auch 'n anderes Schmerzempfinden dann im späteren Leben dadurch ausgelöst wird, ... Und was Kinder halt nicht haben, also vor allem die Kleinen, [die] Säuglinge haben ja nicht das Bewusstsein: Das ist ein Schmerz, der hört wieder auf. Sondern das ist halt einfach in dem Moment einfach nur Schmerz. Und sie können's auch nicht relativieren, also wie soll das gehen?
'''VS:''' Ja, das ist total individuell, je nach genauem Alter. Wenn es in einem vorsprachlichen Alter passiert, ist das Trauma natürlich sehr schwer, später da Zugang zu finden, weil's eben vorsprachlich ist.
'''VS:''' Wenn die Kinder älter sind und sich noch erinnern können, haben sie natürlich mehr Möglichkeiten, auch der Relativierung für sich, und können es artikulieren, sich aktiv erinnern. Das ist höchst, höchst individuell, wie das verarbeitet wird. Also mit solchen Sachen kommt jeder Mensch unterschiedlich klar. Das ist auch gut so. Also, wir sind natürlich auch froh über jeden Menschen, egal welchen Geschlechts, der das irgendwie einigermaßen übersteht. Darum geht's ja nicht. Es geht um die, die darunter leiden, und um das Risiko, dass jedem, dem das passiert, jemand sein kann, der dadrunter leidet. Das ist die eine [Sache]; das andere ist das Grundrecht, auf den Körper, auf den eigenen Körper, auf die eigenen Genitalien, auf die Akzeptanz. Recht auf Akzeptanz, so wie man ist. Das ist ganz, ganz wichtig.
Ich glaube, viele ... Es passiert oft ein Fehler ... Man muss das auseinanderhalten: die grundsätzliche Haltung zu dem Thema und die Schwierigkeit der Umsetzung des Kinderschutzes. Das wird oft durcheinandergeschmissen. Man sieht vor allen Dingen, letzteres ist wahnsinnig schwierig, politisch. Also, das machen sehr ... Also jetzt geh' ich mal nur von Deutschland aus. Die Welt besteht aber nicht nur aus Deutschland, aber jetzt sagen wir mal nur Deutschland.
[Da] kann man sagen, das mit Jungs ist sehr schwierig; aufgrund verschiedener politischer und historischer Begebenheiten ist das schwer hier umzusetzen. [Da] kann man der Meinung durchaus sein. Ich finde es sehr wichtig, wir finden's sehr wichtig als Verein, die gesellschaftlichen Realitäten anzuerkennen. Denn man kann nur eine Welt verändern, wenn man sie erstmal erkennt, so wie ist. Das war immer so, ansonsten macht man 'nen großen Fehler. Hat's auch oft in der Geschichte gegeben.
Sicher sind wir alle nicht gefeit davor. Und ich hab das bestimmt in irgendwelchen Zusammenhängen auch schon mal gemacht, wo ich dachte, das ist mir irgendwie zu heikel, da beziehe ich keine Position. Das Problem ist nur, dass, wenn es um Kinder geht, die sich nicht selber schützen können, gibt's in der Wirkung keine neutrale Position. In dem Moment, wo ich nicht mich vor die Kinder stelle und für die Kinder ausspreche, die sich nicht selber verteidigen können, stärke ich automatisch die Starken, die Erwachsenen, die sich sehr wohl verteidigen und sich durchsetzen. Solange ich mich nicht auf die Seite der Kinder stelle und für die ausspreche, lass ich das einfach so weiter, wie's bisher ist, dass sich die Starken durchsetzen. Denn eine eigene Entscheidung des Kindes ist in diesen Fragen niemals inbegriffen, die wird niemals überhaupt in Betracht gezogen, sondern die Erwachsenen bestimmen, was passiert.
'''CP:''' Genau, wenn ich nicht ausgesprochen dafür bin, aus welchen Gründen auch immer, dann muss ich einfach dagegen sein. Man kann nicht sagen ...
'''VS:''' Ich würd' immer sagen: "dafür", ich will das "dafür". Wir sind "für Selbstbestimmung", das find' ich immer ganz wichtig. Wir sind für etwas. In dem Moment, wo ich mich nicht für die Kinder einsetze, bin ich auf Seiten der Erwachsenen, das heißt, und da auch wieder, [das] Entscheidende ist nicht, was ich mir so in meinem Erwachsenenhirn zurechtklingel', sondern was die Wirkung für die Kinder ist. Die entscheidet. Und wenn die Wirkung so ist, dass es so weiterläuft, hab ich eine Position eingenommen. Und davon ist völlig unberührt, dass natürlich die Umsetzung schwierig ist.
Aber das haben wir ja in vielen anderen Dingen auch: Also die Umsetzung des Rechtes auf Leben ist auch schwierig, weil es immer mal wieder Morde gibt. Oder [das Recht] auf Eigentum: Ladendiebstahl gibt's auch immer wieder. Und die Umsetzung dessen ist sicher schwierig. Aber Ladendiebstahl ist Ladendiebstahl, egal, ob er zum Beispiel von jemand ... ob jemand sich für seinen Luxus einen Gameboy stiehlt, oder eine arme Person was zu Essen - es ist Ladendiebstahl. Also für die grundsätzliche Einordnung des Tatbestandes ist völlig unerheblich, zu welchen Motiven das passiert. Wenn ein Gericht daran das abhängig machen würde, wäre es nämlich befangen. Wenn man sagen würde, aufgrund des Ansehens der Person werte ich die Tat anders, das ist ganz schlimm ...
'''CP:''' Man muss das ohne Ansehen ...
'''VS:''' Ja, richtig. Unser Staat muss weltanschaulich neutral sein. Das heißt, das darf man gar nicht. Was die Umsetzung angeht, ja, das ist schwierig.
'''CP:''' Es sagt ja auch keiner, dass das leicht wäre.
'''VS:''' Richtig, das behauptet keiner. Es gibt auch Leute, die sagen: Ja, die von [[MOGiS e.V.|MOGiS]], oder Leute, die sich da für den Kinderschutz und die Gleichberechtigung einsetzen, "die machen sich das leicht", oder so. Das Thema würde keine leichte Antwort vertragen. [Da denk ich dann immer:] Leicht? Wer kommt denn darauf, dass das ... Meinen Sie, [dass das,] was wir tun, leicht ist? Seit zehn Jahren versuchen, dafür in gesellschaftlichen Dialog zu treten, eine faktenbasierte Debatte anzutreiben, eine Plattform des Dialogs irgendwie in Gang zu bringen, Betroffenen die Möglichkeit zu schaffen, Räume zu ermöglichen, wo sie angstfrei darüber reden können, auch sich in die Idee derjenigen, die das tun mit ihren Kindern, hereinzuversetzen, um sie abzuholen im Dialog - wer meint denn, dass das einfach ist? Also das find' ich auch immer total abstrus, und deswegen versuchen wir immer, zu erklären, wie unsere Arbeit eigentlich aussieht. Insofern hoffe ich auch, dass diese Sendung letztendlich von vielen gesehen wird. Aber leicht ist wirklich was anderes. Also da find' ich es ehrlich gesagt leichter einfach für die Leute, die sagen, sie halten sich da raus. Weil die sich damit ja dann auch noch eigentlich wohlfühlen, also sich ja für besonders besonnen halten. Also, ja ... Das ist ganz schwierig, aber das vielleicht so als Reaktion noch auf so Dinge, die manchmal geäußert werden.
'''CP:''' Ja.
<blockquote>
Die Personensorge umfasst nicht das Recht, ...
</blockquote>
<blockquote>
... in die Behandlung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung einzuwilligen oder selbst diese Behandlung durchzuführen, die, ohne dass ein weiterer Grund für die Behandlung dazutritt, allein in der Absicht erfolgt, das körperliche Erscheinungsbild des Kindes an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts anzugleichen.
</blockquote>
<blockquote>
In operative Eingriffe an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen des nicht einwilligungsfähigen Kindes mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung, die eine Angleichung des körperlichen Erscheinungsbilds des Kindes an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts zur Folge haben könnten und für die nicht bereits nach Absatz 1 die Einwilligungsbefugnis fehlt, können ...
</blockquote>
Jetzt kommt das Entscheidende:
<blockquote>... die Eltern nur einwilligen, wenn der Eingriff nicht bis zu einer selbstbestimmten Entscheidung des Kindes aufgeschoben werden kann.
</blockquote>
'''VS:''' Ja, und auf einmal kommt nämlich die Selbstbestimmung. Die Selbstbestimmung gab's ja gar nicht bei dem Gesetz zu Jungs. Also: Jungen und Selbstbestimmung ist völlig fürn Arsch - Entschuldigung, das ist mir jetzt einmal rausgerutscht - das brauchen die nicht.
'''CP:''' Das ist bei YouTube, das läuft ...
'''VS:''' Das läuft, okay. Jetzt - das find' ich ja erstmal super. In einem Gesetz, was Kinder schützen soll und ihre Genitalien, so wie sie zur Welt kommen, eine selbstbestimmte Entscheidung. Wenn das aufzuschieben ist, dann muss das auch aufgeschoben werden. Da ist die Priorität beim Kind, bei der Selbstbestimmung, und nicht bei den Eltern, möglichst schnell Rambazamba zu machen. Das ist doch wirklich ein Super-Fortschritt.
'''CP:''' Das könnte ja ... das passt ja 1:1 eben genau auf die Beschreibung auch, also das kann man natürlich aufschieben. Das ist ja nicht so, dass man das nur mit zwei Monaten oder acht Jahren machen kann, sondern ...
'''VS:''' Naja, du hast ja die Statistiken erkannt auch vorhin, die wir alle kennen weltweit, dass, wenn man das nicht an Kindern macht, dass es kein Massenphänomen mehr ist. Es heißt, mit großer Sicherheit wird das dann von der Welt verschwinden als Massenphänomen und wird ein Spleen oder - naja, das ist wie ... da war ich jetzt übergriffig ... eine Varietät von Erwachsenensein, was die so mit sich machen, wie Tätowierungen, was weiß ich, es gibt ganz viele Geschichten, was man so mit sich tun kann. Mehr wär's nicht.
Es gab ein interessantes Interview in der Maischberger-Sendung 2012 zu dem Thema. Ich glaub', der Arzt hieß Isik, der dann auch vor Frau Maischberger sagte, als die nämlich auch eine Verlegung des Alters ins Spiel brachte, da hat er gesagt: "Naja, kennen Sie denn noch Jugendliche, die gern zum Arzt gehen?" Das kann man noch nachlesen. Musst du mal googeln: "Maischberger 2012". Und Frau Maischberger hat dann auch sehr klug nachgefragt: "Sie meinen also, das würde dann später abgelehnt werden, wenn man wartet?" und [da hat] er gesagt: "Ja klar!"
'''CP:''' Das wäre der Wille des Kindes, der betroffenen Person.
'''VS:''' Das wäre der ... genau, und also, deutlicher konnte man es gar nicht erfahren, dass man das frühe Alter letztendlich hat, weil man weiß: Später passiert das nicht mehr. Das ist aber keine Begründung. In einem Rechtsstaat sollte es keine sein. Ja, war es damals auch noch nicht, das war ja vor dem [[12.12.2012]], wo diese Sendung ausgestrahlt wurde.
Jetzt müssen wir bitte nochmal eine Folie weitergehen, weil bei diesem Gesetz auch in der Begründung etwas steht. Und zwar - es ist ja immer so: Wenn man nur einige Kinder schützt, muss man ja immer irgendwo begründen, warum man nur die einen und nicht die anderen schützt. Bei dem Gesetz für die intergeschlechtlichen Kinder wollte sich der Gesetzgeber gleich zweifach abgrenzen. Also erstmal, dass es keinen Strafrechtsbestand wie bei den Mädchen gibt. Da musste man also irgendwie sagen, warum das denn jetzt was anderes ist. Den hab ich jetzt nicht da drin, aber das erzähl' ich mal: Da stand da nämlich drin, dass das ja schließlich bei intergeschlechtlichen Kindern niemals eine Verstümmelung sei, weil das ja Ärzte aus medizinischen Gründen heraus macht[en]. '''CP:''' Genau. '''VS:''' Und das sei ja schließlich anders als bei [[FGM]]. Tja, ich weiß auch nicht so genau, was sie … wie die sich das immer vorstellen. Dann wird eben auch verallgemeinert, als ob [[FGM]] halt immer irgendwelche fürchterliche Beschneiderinnen im Busch machen. Und das machen auch Ärzte. '''CP:''' Ja. '''VS:''' Und zwar in zunehmender Anzahl, in vielen Ländern der Welt. Also es ist auch sehr, sehr kurzsichtig gewe[sen]. Ja, und das fand ich auch schlimm, weil das ja auch wieder diese einseitige Täter-Perspektive war. Wobei mir klar ist, jetzt Ärzte und auch die Eltern - Täter-Perspektive - ich mein' das ja im übertragenen Sinne, ne? Das ist auch wieder, was ich vorhin gesagt hab, eine Kinderrechtsverletzung. [Die] definiert sich danach, was mit dem Kind passiert, und nicht [danach], was die Erwachsenen denken. Wenn die betroffene Person intergeschlechtlich operiert wird ohne ihr Einverständnis, es nicht medizinisch notwendig ist, und später darunter leidet und sich als verstümmelt sieht, dann ist es völlig egal, ob das ein Arzt gemacht hat oder irgendjemand im Busch oder in der Klinik oder in einem Beschneidungszentrum oder sonstwie. Da entscheidet die betroffene Person darüber und nicht der Gesetzgeber in Deutschland, nicht? Also das ist … fänd' ich ganz schlimm, also da hab' ich sehr mit den intergeschlechtlichen Menschen gefühlt und fühle mit denen auch, weil das übergriffig ist. Das kann man nicht bestimmen für andere Menschen. Sondern das sieht wieder nur die Erwachsenen-Perspektive. Die haben das ja anders gemeint. Die haben gedacht, das sei medizinisch notwendig. Das ist doch für die Grundsache völlig unerheblich, weil die Grundsache der Betroffene entscheidet und niemand anders. Das war die eine Abgrenzung. Und die andere war natürlich, dass man jetzt unbedingt - jetzt kommen wir wieder zurück auf die Folie - ja sagen musste, warum das natürlich mit den Jungs was ganz anderes ist. Und jetzt wird's besonders toll. Da steht jetzt also tatsächlich: "Beschneidung bei Jungen ist in 1631d speziell geregelt." Das kann man so sagen. '''CP:''' [lacht.] <blockquote>Auf die Beschneidung der Vorhaut eines Kindes, das nicht männlich im Sinne des 1631d BGB ist (also auch eines Kindes mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung), ist 1631d BGB dagegen nicht anzuwenden.</blockquote> '''CP:''' Also, wir haben ja gar nicht … '''VS:''' Tja … Komm, wir wollen mal versuchen, das zu verstehen. '''CP:''' Wir haben vorher … ich erinner' mich, wir haben gesagt, das wird ja gar nicht geregelt, was männlich ist. '''VS:''' Genau. Da wird aber behauptet, da sei das irgendwie … '''CP:''' Genau, also das ist … stimmt eigentlich nicht … '''VS:''' Dafür gibt's keine Definition, gibt's nicht. Das ist erfunden. "im Sinne des … - männlich im Sinne des 1631d BGB" gibt's nicht. Wir können uns aber jetzt mal versuchen, Christoph, mal auszudenken, was sie damit denn meinen '''CP:''' Okay. '''VS:''' Was ist … was meinen die denn damit? '''CP:''' [sprachlos] '''VS:''' Was darf es denn nicht sein? Weil sonst nämlich … '''CP:''' Es darf nicht weiblich sein. '''VS:''' Und was darf es auch nicht sein? 'Ne Variante aus beiden. Und dann ist es ja nicht anzuwenden. Was bleibt denn dann noch übrig? '''CP:''' Es gibt ja nichts. '''VS:''' Doch. Was bleibt denn dann übrig? Also wenn's nicht weiblich, nicht Variante ist, wie muss das Kind dann sein, damit … '''CP:''' Männlich! '''VS:''' Bitte? - Damit es weiterhin beschnitten werden darf. '''CP:''' Männlich. '''VS:''' Genau. Also - aber wie männlich? Was muss denn da sein? '''CP:''' Ja "richtig männlich". '''VS:''' Was ist denn so richtig männlich? '''CP:''' Da muss einfach 'n richtiger Penis sein. '''VS:''' So'n richtiger Penis. Hab ich nämlich auch gedacht. Was ist das eigentlich? Ich hab das letzte Woche in einem Vortrag, da hab ich gesagt, so'n "ganz reinrassiger Penis". Ist doch wohl gemeint, oder? Wo du überhaupt nicht auf die Idee kommen könntest, dass da irgendwas an Variante dran ist. Also so'n "richtig reinrassiger Penis". Das ist das einzige, was übrig bleibt. Weil wenn es so'n Tick [anders ist], dann würde ja was anderes greifen. Ja, oder wie soll ich das anders verstehen? Ich versuch's einfach nachzuvollziehen, was sich da Leute im Justizministerium gedacht haben, als sie das aufgeschrieben haben. Das gehört auch zu den Folgen des {{12.12.2012|12. Dezember 2012]]. '''CP:''' Weil sie … '''VS:''' Weil sie sich sowas aus…, weil sie einfach nur deswegen nicht aus dem Quark kommen, einfach mal zu sagen, wir schützen alle Kinder gleich. Und wir vergessen diesen ganzen Unfug. '''CP:''' Wir streichen … also was müsste man da eigentlich machen? Man müsste die ganzen Paragraphen einfach streichen und entsprechend halt … ? '''VS:''' Wegen mir schon. Das Recht auf gewaltfreie Erziehung reicht. Man kann ja auch von mir aus, wenn man das will - aber da streiten sich die Juristen - ich bin ja keiner - ob das jetzt Sinn machen würde, da nochmal einen eigenen Strafrechtsparagraphen für alle Kinder … Ich weiß es nicht. Unsere Gesellschaft … Ich hab ja vorhin gesagt, wir müssen die Realitäten auch anerkennen. Wir können das sicher nicht von heute auf morgen allein über[s] Strafrecht lösen - im Sinne für die Kinder. Das seh ich auch so. Aber man muss ja zumindest ein Ziel definieren und sich vor allen Dingen zusammen als Gesellschaft auf den Weg machen. Wie gehen wir diesen Weg denn? Also was … wer hat da alles beizutragen? Wer hat Ideen dafür zu liefern? Manchmal sagen mir die Leute auch: Ja, wie soll'n das gehen? Da sag ich immer: Warum soll ich das denn allein oder wir allein wissen? Das ist ja wirklich die Krönung: Also wir sind doch nicht hier, der [[MOGiS e.V.]] ist doch nicht zuständig für die Wahrung von Grundrechten in Deutschland, oder für die Wahrung von Kinderrechten. Das ist ja wohl eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das geht ja wohl alle an. Also Entschuldigung, wir machen ja schon was, was in den letzten zehn Jahren - also zumindest nach dem Gesetzesbeschluss - in Deutschland gelaufen ist, was Diskussionsebenen angeht, ist ja schon in wesentlichen Teilen durch uns in Ehrenamtsfunktion auf die Beine gestellt worden. Also irgendwann sind auch mal andere dran. Hallo?! '''CP:''' Also es tut sich ja schon ein bisschen was. '''VS:''' Ja, es tut sich schon ein bisschen was. == Überarbeitung der Leitlinie zur Zirkumzision =='''CP:''' Wir haben ja ganz am Anfang schon gesagt, der überwiegende Teil der Beschneidungen, die in Deutschland passieren, sind ja auf zweifelhafte medizinische Indikationen hin, die da … oder passieren auf solche Indikationen hin. Und da ändert sich ja gerade schon einiges, weil jetzt 'ne … '''VS:''' Da ändert sich ne ganze Menge, ja. '''CP:''' … 'ne Leitlinie neu rauskommt, und das, was die Kinder- und Jugendärzte dann 2012 schon geäußert haben, das ist … '''VS:''' Ja, da tut sich was. '''CP:''' … das verändert sich jetzt. '''VS:''' Da tut sich was, ja. '''CP:''' Also basically wird einfach jetzt die klassische [[Phimose]], diese Vorhautverengung, weshalb ja viel beschnitten wird, halt einfach nicht mehr als automatischer Grund gesehen, ne Beschneidung vorzunehmen, um's mal vereinfacht zu sagen. '''VS:''' Ja, bis sich das tatsächlich so in die Praxis dann durchsetzt, dauert's. Also da stand schon nach der letzten Überarbeitung der Leitlinie 2017 eigentlich schon echt fest in der Theorie - und die Zahlen sind bisher anscheinend nicht besonders runtergegangen - es wird jetzt in den nächsten Wochen eine weitere Überarbeitung der Leitlinie erscheinen, die nochmal deutlich differenzierter ist und besser wirklich auch der medizinischen Behandlung im Sinne des Kindes (!) dienlich sein wird. Die wird erscheinen, und mal gucken, wie das … ob's, ja, ob das besser wird. Dass das auch wirklich bis nach unten hin trägt. Da, bei dieser Überarbeitung der Leitlinie waren wir ja auch beteiligt vom [[MOGiS e.V.]], und die wird wirklich besser sein in dem Sinne, dass sie eben Beschwerden lindert. Es geht ja darum, wenn durch Vorhautengen Beschwerden auftreten, dass dann Kinder natürlich Hilfe bekommen, aber dass man nicht entwicklungsbedingt normale Zustände künstlich für krank erklärt und dann zu Behandlungen rät, die im Endeffekt eben auch dazu führen, dass das Organ verlorengeht, also die Vorhaut. '''CP:''' Also, es kommen ja auch neue Ärzte immer nach. Also geht das in die … ins Studium schon ein, oder ist das … ? '''VS:''' Oh, schwierig. Also die jungen Ärzte, die ich kenne, die sagen, dass das keine Rolle spielt - immer noch. '''CP:''' Okay. '''VS:''' Ja, du sprichst aber was sehr Wichtiges an: Das muss natürlich passieren. Das ist ganz wichtig. '''CP:''' Ja, weil nur wo, wenn … das … Dann erledigt sich das nämlich von selber, wenn alle, die nachkommen, nur noch das lernen, dann … '''VS:''' Ja. Ja. Das stimmt. '''CP:''' … aber wenn im Lehrplan immer noch steht, die Erde ist 'ne Scheibe, dann muss man halt alle immer dann später noch davon überzeugen, dass es keine Scheibe ist. Und wenn im Lehrplan halt drinsteht, die Erde ist rund, dann … '''VS:''' Ja. '''CP:''' … das hat … das funktioniert, in größten Teilen der Bevölkerung. == Ethikrat =='''VS:''' Das stimmt, das stimmt. - Ich könnt' mir noch 'n paar nette Zitate raussuchen. Was haben wir denn noch so? Über Australien haben wir ja schon gesprochen. Malaysia haben wir auch schon besprochen … '''CP:''' Ich find's ganz interessant, es sind so'n paar … so, hier, vom Ethikrat, der kommt vor. '''VS:''' Ah, lass uns doch mal über den Ethikrat reden. Oh, ja! '''CP:''' Weil der Ethikrat hat ja jetzt auch in der Pandemie immer wieder 'ne Rolle gespielt, wenn's um Triage geht und so … '''VS:''' Oh ja. Oh Gott, ja bitte! '''CP:''' … und Impfzwang … '''VS:''' Lass uns über den Ethikrat reden. Also der Ethikrat war natürlich auch eine ziemliche Hoffnung für uns 2012, weil der ja eigentlich unabhängig entscheiden soll. Und dann gab's da eine einzige Sitzung und dann haben die da so ein Statement rausgeklatscht, wo sie den Regierungsentwurf eigentlich mehr oder weniger abgesegnet hatten, außer noch ein bisschen auf ein Vetorecht und die Frage der Schmerzbehandlung eingegangen sind. Und das war's. Ich hab damals ein Mitglied des Deutschen Ethikrats telefonisch gesprochen. Diese Person hat mir gesagt auf meine Frage hin, wie ich das jetzt einschätzen kann, dass die das mit einer einzigen Sitzung abhandeln. Da hat sie gesagt, diese Person: "Herr Schiering, recherchieren Sie doch mal im Netz, was wir zu Intersexualität gemacht haben, und vergleichen das damit. Dann hat sich diese Frage wahrscheinlich beantwortet." Und dann hab ich recherchiert und dann hab ich gelesen, dass die damals auch eine Anfrage der Regierung bekommen hatten, dazu Stellung zu nehmen, und dass sie sich mit einer detaillierten Antwort zwei Jahre lang Zeit genommen haben. Die haben nämlich gesagt, ganz ähnlich wie bei männlicher Genitalverstümmelung: "Dazu haben wir zu wenig. Da haben sie aber nicht wie bei [[MGM]] gesagt, also bei Jungs gesagt: Ja, dann machen wir da mal eine Sitzung und sagen dann da was, sondern wir sagen erstmal nüscht, weil wir nicht genug haben." Und was macht man, wenn man nicht genug hat als Ethikrat? Da gibt man was in Auftrag. Da wurden Gelder akquiriert, da hat man Umfragen gemacht, die ausgewertet, nochmal was … und so weiter. Man konnte das dann nachlesen. Und dann nach zwei Jahren haben die irgendwann eine Empfehlung an den Deutschen Bundestag gemacht. Auch da wieder, was alles so anders war und warum diese Debatte so unglaublich ist, dass wir immer wieder über sie sprechen müssen, auch jetzt neun Jahre später, nicht nur wegen den Folgen, sondern auch wegen dieser Zustände. Und das können die Leute ja alle gar nicht wissen draußen. Das ist doch klar. Ich weiß doch zu den meisten Themen auch nicht Bescheid. Das, was dann hängenbleibt, sind irgendwelche Headlines, die man zum Beispiel, was ich vorhin sagte: "Religiöse Beschneidung bleibt erlaubt" und sowas. Das bleibt dann hängen, wenn es immer wieder wiederholt wird. Und man hat doch gar keine Zeit dafür, zu überprüfen, ob das die Gesetzeslage überhaupt hergibt. So ist das zum Beispiel auch mit dem Ethikrat. Und tu doch mal bitte dieses eine Zitat da noch von Frau Woopen, die ehemalige Ethikrat-Vorsitzende. Also da ist uns wirklich der Hut hochgeflogen, als dann im Jahr 2019 sie in einem Interview sagt: [Folie Ethikrat, Zitat Prof. Christiane Woopen, 2019] <blockquote>Als ich 2012 Vorsitzende des Deutschen Ethikrats wurde, ging es als erstes um die bei Juden und Muslimen übliche Beschneidung von Jungen.</blockquote> Erster Fehler. Weil wir wissen ja, die allermeisten Betroffenen in Deutschland sind weder Juden noch Muslime. Dann ging's weiter: <blockquote>Natürlich kann man eine solche Frage theoretisch abhandeln, …</blockquote> Bleibt auch … Können wir gleich [nachdenken], was sie damit wohl gemeint haben könnte. Also sie hat es offensichtlich nicht theoretisch gemacht. <blockquote>… aber hier hatten wir besonders zu bedenken, was unser Votum vor dem historischen Hintergrund und im internationalen Kontext bedeutet. Sogar im Urlaub habe ich kaum anderes gemacht, als über dieses Thema nachzudenken.</blockquote> '''CP:''' Da müsste man mal sagen: "Eine Runde Mitleid!" für Frau Woopen. '''VS:'''<blockquote>Der Ethikrat hat letzlich empfohlen, rechtliche und fachliche Standards für die Beschneidung zu schaffen, etwa zur Schmerzbekämpfung und Einwilligung. Professor Christiane Woopen, 2019</blockquote> Also den ersten Fehler hab ich ja schon gleich gesagt am Anfang. Dann ging's mit dem "theoretisch" … also [für] nicht-theoretisch hält sie also den historischen Hintergrund und den internationalen Kontext. Jetzt frage ich dich: Was hat das mit den betroffenen Kindern im Moment zu tun? Was ist jetzt die Theorie und was ist die Praxis? Ich glaube, Frau Woopen hat da was verwechselt. Und mit dem Urlaub, da hab ich ja … am Strand, oder … ich weiß nicht, wo sie da war … oder in den Bergen … da hätte sie ja ab und zu Betroffenenberichte lesen können, die es damals auch gab. Wir haben große Mühe uns gegeben, die Betroffenenperspektiven in die mediale Diskussion auch zu bringen. Und [[Alexander Bachl|Alex Bachl]] war ja auch sogar im ''heute journal''. Es gab ja vereinzelte Lichtblicke. Die haben's wohl in ihren Urlaub nicht geschafft. Und die Krönung ist dann der Schluss. Ja, der Ethikrat hat viel empfohlen. Aber was ist denn mit den rechtlichen und medizinischen Standards, zum Beispiel zur Schmerzbekämpfung und der Einwilligung? Was ist denn bis heute, neun Jahre später, passiert? Der Ethikrat hat das Thema nie wieder angefasst. Was bringen Beschlüsse, wenn sie nie etwas zur Folge haben? Ja, sie sind heiße Luft nämlich. Und das ist auch ganz besonders bitter. Also der Ethikrat hat sich wirklich ad absurdum geführt. Ich find' das übrigens schlimm. '''CP:''' Das ist schlimm. '''VS:''' Also, es mag jetzt vielleicht so sein, dass irgendjemand denkt, der Victor redet sich hier in Rage, und der freut sich darüber. Nee, ich find' das ganz schlimm, weil ich glaube, dass das, diese Beschneidungsdebatte, so wie sie geführt wurde und mit diesem Ergebnis, ganz viel auch zur Gefährdung von Glaubwürdigkeit von politischen und solchen Gremien geführt hat. '''CP:''' Wir sehen ja jetzt gerade in der aktuellen Situation, wie wichtig da so'n Gremium ist, das versucht, abzuwägen und eben, also im Idealfall eben wirklich als die objektivste Instanz gelten kann. Und wenn man das dann sieht und den Satz, das da mit dem Urlaub, und was man hätte lesen können oder was man sich hätte theoretisch abhandeln können ... Sie hätte ja ... Es gibt ja vom 30. August 2012 'nen großen Artikel in der Süddeutschen Zeitung von [[Reinhard Merkel]], der ja wahrscheinlich dann ihr direkter Vorgänger war, oder? '''VS:''' Nein, der war nicht Vorsitzender. Der war auch im Ethikrat. '''CP:''' Ach, der war auch im Ethikrat. Also von einem ehemaligen Mitglied ... '''VS:''' Der gehörte zu den ... Professor Merkel ... '''CP:''' ... des Ethikrats ... '''VS:''' Der war damals Mitglied. Der war im Ethikrat und gehörte zu den wenigen Mitgliedern des Ethikrats, die hier Bedenken hatten. Der ist Strafrechtsprofessor in Hamburg. Ich weiß nicht, ob er es noch ist. Also, er war's auf jeden Fall. Ich weiß nicht, ob er schon emeritiert ist.
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