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Zirkumzision

21.819 Bytes hinzugefügt, 12:29, 19. Mär. 2014
Kapitel 10 des Zirkumpendiums eingefügt
Bei vielen Völkern ist es auch üblich, derartige Rituale an Mädchen durchzuführen. Dies kann von verhältnismäßig kleinen Eingriffen wie dem Durchstechen oder Einritzen der Klitorisvorhaut über ihre komplette Entfernung bis hin zu einer radikalen Entfernung von Klitorisvorhaut, Klitoris, inneren und äußeren Schamlippen und einem abschließenden Zunähen der Vagina reichen.
 
== Recht und Ethik ==
 
Die medizinisch nicht indizierte Zirkumzision von Kindern gehört nicht nur zu den verbreitetsten chirurgischen Eingriffen weltweit, sondern auch zu den ältesten. Wahrscheinlich liegt es in dieser langen Tradition begründet, dass sie zwar den gängigen westlichen Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit und auch ärztlicher Ethik zuwiderläuft, aber dennoch weitestgehend geduldet wird, obwohl so gut wie nirgends gesetzliche Ausnahmeregelungen existieren. Die wenigen Regelungen, die teils erst in jüngster Vergangenheit in Kraft traten, befassen sich in der Regel nur mit den Rahmenbedingungen. Es wird festgelegt, wie und unter welchen Voraussetzungen die Operation vorgenommen werden muss, die generelle Vereinbarkeit mit den Grund- und Menschenrechten hingegen wird nur selten hinterfragt, geschweige denn berücksichtigt.
 
=== Einige Beispiele für gesetzliche Regelungen ===
 
==== Deutschland ====
 
Generell erfüllte bis Dezember 2012 die Beschneidung eines Minderjährigen den Tatbestand der Körperverletzung. In der Praxis wurde die Beschneidung jedoch nicht rechtlich geahndet, da Unklarheit darüber herrschte, ob die Eltern berechtigt sind, an Stelle des Kindes die Einwilligung zur Operation zu geben (vgl. §228 StGB).
 
Im Jahr 2004 fällte das Landgericht Frankenthal ein Urteil zur Beschneidung durch Nicht-Mediziner, wobei eine rechtlich wirksame Einwilligung der Eltern verneint wurde.
 
Im August 2007 stellte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main fest, dass die Entscheidung über eine Beschneidung wegen der "körperlichen Veränderung, die nicht rückgängig gemacht werden kann, [...] in den Kernbereich des Rechtes einer Person [fällt], über sich und ihr Leben zu bestimmen."
 
Das Landgericht Köln sprach am 7. Mai 2012 in zweiter Instanz ein Urteil, das die Zirkumzision als Körperverletzung einstuft, welche durch eine religiöse Motivation und den Wunsch der Eltern nicht gerechtfertigt werde und die nicht im Wohle des Kindes sei.
 
Das Urteil vom Mai 2012 löste heftige Proteste von Vertretern religiöser Gruppen aus, woraufhin von Seiten der Politik umgehend mit der Zusage reagiert wurde, dass die religiös motivierte Beschneidung von minderjährigen muslimischen und jüdischen Jungen in Deutschland erlaubt bleiben würde.
 
Am 23. August 2012 einigte man sich in einer öffentlich Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates "ungeachtet tiefgreifender Differenzen" (!) auf vier Mindestanforderungen für eine gesetzliche Regelung:
 
* umfassende Aufklärung und Einwilligung der Sorgeberechtigten
* qualifizierte Schmerzbehandlung
* fachgerechte Durchführung des Eingriffs sowie
* Anerkennung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des betroffenen Jungen.
 
Die explizite Erwähnung tiefgreifender Differenzen verdeutlicht die Schwierigkeit, eine Beschneidung minderjähriger Jungen gesetzlich zu Regeln. Das Gesetzgebungsverfahren führte innerhalb der deutschen Gesellschaft zu einer breiten öffentlichen Debatte über Legitimität und Legalität der Beschneidung Minderjähriger. Trotz heftigen Widerstands von Ärzteverbänden, Juristen, Verfassungs-, Kinder- und Menschenrechtlern sowie rund 100 Abgeordneten trat im Dezember 2012 folgendes Gesetz in Kraft:
 
<blockquote>
''§ 1631d BGB
 
Beschneidung des männlichen Kindes
 
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche
Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen,
wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt
nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das
Kindeswohl gefährdet wird.
 
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer
Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1
durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die
Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.''
</blockquote>
 
Somit ist eine nicht-therapeutische Zirkumzision an nicht einsichts- und urteilsfähigen Jungen generell mit jedem beliebigen Motiv legal. Ein Vetorecht für die betroffenen Kinder wurde im Bundestag abgelehnt, ebenso ein Änderungsantrag, der eine 5-jährige Evaluierung der Regelungen vorsah. Die Ermächtigung für das Bundesministerium für Gesundheit, nähere Anforderungen und Modalitäten — unter anderem bezüglich Schmerzbehandlung und Qualifikation nichtärztlicher Beschneider — durch zusätzliche Rechtsverordnungen zu regeln, wurde ebenfalls abgelehnt. Auch einer Forderung nach einer Dokumentationspflicht für nicht-therapeutische Beschneidungen kam man nicht nach. Die bloße Absichtserklärung, dass nach den Regeln der ärztlichen Kunst gearbeitet werden soll, reicht aus.
 
Im Dezember 2012 ergab eine repräsentative Umfrage von Infratest dimap, dass nur 24 Prozent der befragten Bürger/innen dieses Gesetz befürworten. 70 Prozent lehnen es explizit ab.
 
==== Österreich ====
 
In Österreich ist Körperverletzung wie in Deutschland strafbar, ohne dass es eine Sonderregelung für Beschneidungen gibt. Dagegen gibt es — anders als in Deutschland — in den österreichischen Verfassungsgesetzen kein ausdrückliches Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, jedoch ist nach § 146a ABGB "die Anwendung von Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leides" durch die Eltern unzulässig. Laut § 90 (3) StGB kann "in eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen," nicht einmal von Erwachsenen eingewilligt werden. Andererseits berechtigt das „Israelitengesetz“ die Israelitische Religionsgesellschaft und ihre Mitglieder, "Kinder und Jugendliche auch außerhalb der Schule durch alle traditionellen Bräuche zu führen und entsprechend den religiösen Geboten zu erziehen". Die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen wird vom österreichischen Justizministerium nicht für strafbar gehalten, begründet wird dies durch das Elternrecht.
 
==== Frankreich ====
 
In Frankreich liegt keine explizite Regelung der Beschneidung vor. Die Frage der elterlichen Einwilligung wird weder unter religiösen Aspekten noch vom Erziehungsrecht diskutiert. Artikel 16.3 des Zivilgesetzbuches bringt zum Ausdruck, dass "die Integrität des menschlichen Körpers nicht verletzt werden darf, außer in Fällen medizinischer Notwendigkeit für den Betroffenen". Es findet jedoch eine stillschweigende Duldung der Beschneidung Minderjähriger statt.
 
==== Italien ====
 
In Italien besteht eine Grundlagenvereinbarung zwischen dem Staat und der Vereinigung der Israelitischen Gemeinden, die 1987 verfasst und 1989 im Gesetz verankert wurde. Darin ist implizit enthalten, dass die jüdische Beschneidungspraxis mit den Prinzipien der italienischen Rechtsordnung in Einklang steht. Nach Artikel 19 der Italienischen Verfassung ist die Religionsfreiheit zu respektieren, solange keine Handlungen vorgenommen werden, die gegen die guten Sitten verstoßen.
 
In einem Urteil des obersten Kassationsgerichtshofs vom 24. November 2011 wurde eine Mutter freigesprochen, deren Säugling fast verblutete, nachdem er von einem medizinisch nicht qualifizierten Laien beschnitten wurde.
 
==== Finnland ====
 
Ende 1999 hat das Parlament in Finnland eine Erklärung bezüglich ritueller Beschneidung abgegeben. Ombudsfrau Riitta-Leena Paunio bemerkte, dass diese Operation ohne medizinische Begründung nicht zu empfehlen sei, die betroffenen Kinder sollten vorher befragt werden und ihre Zustimmung dazu geben. Sie sagte, das finnische Parlament müsse die religiösen Rechte der Eltern abwägen gegen die Verpflichtung der Gesellschaft, ihre Kinder vor rituellen Operationen ohne unmittelbaren Vorteil für sie zu schützen. Dort ist seither die schriftliche Zustimmung beider Elternteile erforderlich.
 
==== Schweden ====
 
In Schweden ist die Zirkumzision ohne medizinische Indikation an Jungen unter 18 Jahren seit 2001 durch das „Lag (2001:499) om omskärelse av pojkar“ (Gesetz betreffend die Beschneidung von Jungen) geregelt. Danach sind solche Zirkumzisionen als chirurgischer Eingriff grundsätzlich von einem approbierten Arzt und unter Anästhesie durchzuführen. Bei einem Jungen bis zu zwei Monaten kann auch eine andere befähigte Person mit staatlicher Zulassung die Zirkumzision vornehmen. Dies gilt namentlich für Personen, die von Glaubensgemeinschaften vorgeschlagen werden, in denen die Beschneidung Teil der religiösen Tradition ist. Personen, die die Zirkumzision ohne die notwendige Qualifikation bzw. Zulassung vornehmen, droht das Gesetz Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten an. Die Beschneidung bedarf der Zustimmung der Sorgeberechtigten. Sie darf nicht gegen den Willen des Kindes erfolgen, sofern es das Alter und die notwendige Reife für eine solche Erklärung hat.
 
==== USA ====
 
Die USA haben unter allen westlichen Staaten die mit Abstand höchste Quote an Beschneidungen. An vielen Entbindungskliniken ist die routinemäßige Beschneidung neugeborener Jungen üblich. Der US-Ärzteverband AAP befürwortet als weltweit einzige namhafte Ärztevereinigung noch die nicht-therapeutische Beschneidung an Säuglingen und Kindern. Im Herbst 2010 haben kalifornische Intaktivisten ein Verbot der Routine-Beschneidung gefordert und damit eine landesweite gesellschaftliche Diskussion des Themas ausgelöst.
 
• • •
 
Es fällt auf, dass trotz der weiten Verbreitung der nicht-therapeutischen Kindesbeschneidung und der Tatsache, dass sie vielen nationalen Gesetzen widerspricht, kaum ein Land explizite Ausnahmegesetze erlassen hat. Das Prinzip der stillschweigenden Duldung, ungeachtet einer möglichen Rechtswidrigkeit, ist gängige Praxis.
 
=== Rechtliche und ethische Fragen ===
 
Angesichts der Schwere des Eingriffs in den Körper des zu Beschneidenden stellt sich die Frage, ob es nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch vertretbar ist, die Entscheidung über eine nicht-therapeutische Operation bei nicht einsichts- und urteilsfähigen Kindern alleine den Eltern zu überlassen. Hierbei spielen in Deutschland mehrere Grundrechte eine Rolle:
 
* das Recht auf körperliche Unversehrtheit
* das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung
* das Recht auf Gleichbehandlung der Geschlechter (sofern eine Beschneidung an Mädchen illegal ist)
* das Recht auf Freiheit der Religion (sofern die Zirkumzision religiöse Motive hat)
Diese vier Grundrechte sind sowohl in der rechtlichen, als auch in der ethischen Fragestellung relevant.
Beginnen wir mit dem offensichtlichsten Eingriff — den in die körperliche Unversehrtheit. Im deutschen Recht genießen Kinder weitreichenden Schutz, der das Erziehungsrecht der Eltern und die Befugnisse von mit der Erziehung beauftragten Dritten (z.B. Kindergartenpersonal und Lehrkräfte) beschränkt. So sind Erziehungsmaßnahmen untersagt, die körperlichen oder psychischen Schaden zur Folge haben können. Dies ist nicht nur die früher in Familien, Schulen und auch Ausbildungsbetrieben übliche Prügelstrafe, welche (teils erhebliche) direkte körperliche Verletzungen zur Folge haben kann. Auch ein leichter, körperlich unbedenklicher Klaps auf den Po ist hiervon erfasst. Er fällt in den Bereich entwürdigender Maßnahmen. Man geht davon aus, dass nicht nur die unmittelbare Verletzung das Kind schädigt, sondern auch das Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins im Moment der Bestrafung durch Bezugspersonen. Dies gilt ebenso für andere Praktiken, die die Würde des Kindes verletzen – so zum Beispiel der Zwang, seine Kleidung öffentlich vor der Kindergartengruppe wechseln zu müssen, wenn man sich in die Hose gemacht hat.
 
Wenn man nun die in Kapitel 7 aufgezählten möglichen körperlichen und psychischen Direkt- und Spätfolgen einer Kindesbeschneidung betrachtet, so fällt die Unverhältnismäßigkeit ins Auge. Ein Klaps auf den Po ist bereits verboten, die irreversible Amputation eines wichtigen, gesunden Teils des Geschlechtsapparates hingegen nicht. Hier werden die unvermeidlichen und möglichen Folgen dieser Operation in einem Maße außer Acht gelassen, das im krassen Gegensatz zum etablierten Kinderschutz steht. Eine Legalisierung stellt somit eine deutliche Einschränkung des Rechts des männlichen Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Schutz vor potentiell schädlichen Erziehungsmethoden dar.
 
Auch ethisch offenbaren sich hier Probleme. Kann man einem Kind zumuten, nicht selber über das Erscheinungsbild und den Funktionsumfang seines Körpers entscheiden zu dürfen? Sollte der beschnittene Junge im späteren Leben zu der Ansicht kommen, ein intakter Penis wäre ihm lieber, so hat er keine Möglichkeit, die gegenteilige Entscheidung der Eltern rückgängig zu machen. Es wird ihm die Vorstellung anderer, wie sein Körper auszusehen und zu funktionieren hat, unwiderruflich aufgezwungen. Die Möglichkeit, selber nach seinem persönlichen Befinden darüber zu entscheiden, wird ihm vorenthalten, was zu Minderwertigkeitskomplexen und Depressionen führen kann – ungeachtet der Motivation der Eltern oder ihrer Vorstellung, was für ihr Kind das Beste sei. Eine so gravierende Bevormundung bezüglich eines so schweren Eingriffs, noch dazu im intimsten Bereich des Kindes, ist mit dem elterlichen Willen nicht zu rechtfertigen.
 
Beim Recht auf sexuelle Selbstbestimmung sieht es sehr ähnlich aus. Auch hier spielen die Folgen, die eine Zirkumzision auf den Körper hat und haben kann, eine zentrale Rolle. Ein Mann hat normalerweise die freie Wahl, wie er seine Sexualität erleben will. Es obliegt ihm alleine, zu entscheiden, wie er stimuliert werden möchte, und er kann — sollte er das wünschen — sein sexuelles Erleben auch ohne weiteres einschränken. Einem beschnittenen Mann eröffnen sich diese Möglichkeiten nicht. Sein sexuelles Erleben und Fühlen ist durch die körperliche Veränderung nicht mehr in vollem Umfang möglich.
 
Ein intakter Penis ermöglicht es vielen Männern, alleine durch Stimulation der Vorhaut zum Orgasmus zu kommen. Der Mann kann, wenn er sich selbst befriedigt, wählen, ob er die Eichel direkt oder indirekt durch die Bewegung der Vorhaut stimuliert. Da er über das volle von der Natur vorgegebene Gefühlspotential verfügt, kann er es nach seinen eigenen Vorstellungen nutzen. Der beschnittene Mann hat diese Wahlfreiheit indes nicht. Ihm steht weder die Möglichkeit offen, seine Vorhaut in die Stimulation einzubeziehen, noch kann er auf ihre gefühlsempfindlichen Nervenenden und Tastkörperchen zurückgreifen. Auch verfügt er, je nach Menge und Art der entfernten Hautbereiche und Fortschritt der Eichelverhornung, nur über 15–50 % des Empfindungspotentials eines intakten Mannes. In einigen Fällen können die Einschränkungen auch noch deutlicher sein. So können Kondome bei einem stark desensibilisierten Penis die sexuelle Empfindung so weit reduzieren, dass nicht mehr genug Stimulation für einen Orgasmus erreicht wird — was bedeutet, dass erfüllender Safer Sex nicht möglich ist.
 
Besonders bei strammen Beschneidungsstilen besteht die Gefahr, dass der Verlust des reibungsmindernden Gleitlagereffektes bei beiden Partnern zu unangenehmen Gefühlen bis hin zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr führt. Auch kann die Fähigkeit, sich ohne Hilfsmittel – wie zum Beispiel Gleitmittel – selbst zu befriedigen in einem solchen Fall stark eingeschränkt werden oder gar ganz verloren gehen. In einer Studie gaben 63 % der befragten Männer an, nach ihrer Beschneidung Probleme mit der Masturbation zu haben. Wird also ein Junge oder Mann beschnitten, ohne dies nach gründlicher Überlegung und in Kenntnis und Verständnis aller möglichen Folgen selber entschieden zu haben, so nimmt man ihm die grundrechtlich garantierte Freiheit, seine Sexualität nach eigenen Wünschen zu erleben. Dies ist durchaus vergleichbar mit einem elterlichen Einschreiten, um ein Selbstbefriedigungsverbot durchzusetzen, oder um eine homosexuelle Beziehung zu verhindern – mit dem Unterschied, dass der elterliche Eingriff in Form der Zirkumzision im Gegensatz zu Verboten in der Kindheit bis zum Lebensende unwiderruflich bestehen bleibt. Beides ist mit den modernen Vorstellungen vom Kindeswohl und der Betrachtung des Kindes als eigenständige Person nicht vereinbar, und somit ethisch nicht zu rechtfertigen.
 
Das Grundrecht auf Gleichbehandlung der Geschlechter wird ebenfalls verletzt, da zwar Mädchen gesetzlich davor geschützt werden, an ihren Geschlechtsteilen verletzt zu werden, Jungen aber nicht. Dies widerspricht nicht nur dem Grundgesetz, sondern läuft auch allen Gleichberechtigungsbestrebungen zuwider. Da hier im Kindesalter schon Entscheidungen getroffen werden, die das ganze spätere Leben beeinflussen, kommt es dem Versuch gleich, bestimmte Bildungsabschlüsse einem Geschlecht bedingungslos zu ermöglichen, den Eltern aber das Recht zu geben, sie dem anderen Geschlecht – mit lebenslänglicher Wirkung – zu untersagen. Das eine solche Ungleichbehandlung der Geschlechter im 21. Jahrhundert nicht mehr vertretbar ist, weder rechtlich noch moralisch, liegt auf der Hand.
 
Nicht zuletzt wird auch die Religionsfreiheit beeinträchtigt. Wird ein Junge aus religiösen Gründen als nicht einsichts- und urteilsfähiges Kind beschnitten, so trägt er das Zeichen dieser Religion lebenslang auf seinem Körper – auch, wenn er dieser Religion im Verlauf des Lebens entsagen sollte.
 
Zwar hindert ihn sein Zustand nicht daran, seine Religion zu wechseln oder ganz aufzugeben, es ist ihm aber nicht möglich, das Zeichen seiner alten Religion abzulegen. Dies wäre vergleichbar mit einer Tätowierung in Form des Symbols der Religionsgemeinschaft, mit dem Unterschied, dass man ein solches Tattoo notfalls mit einer Laserbehandlung entfernen oder schlicht übertätowieren könnte.
 
Somit schränkt eine Beschneidung zwar nicht die Möglichkeit ein, die Religion zu wechseln, macht es aber unmöglich, seine alte Religion vollständig abzulegen. Dies ist nicht nur ein Eingriff in das Grundrecht, auch ethisch ist es nicht zu vertreten, einen Menschen zu zwingen, sein Leben lang ein religiöses Symbol auf seinem Körper zu tragen – noch dazu an seiner intimsten Körperstelle.
 
Wieso wird dann die Zirkumzision als Erziehungsmaßnahme geduldet, ja gar per Gesetz explizit legalisiert? Dies rührt in Deutschland, auch wenn es sich im eigentlichen Gesetzestext aus juristischen Gründen nicht wiederfindet, von der Vorstellung her, man würde mit einem Verbot die Religionsfreiheit der Eltern einschränken. Zwar besagt Art. 140 GG:
 
<blockquote>
''(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
 
[...]
 
(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.''
</blockquote>
 
Dennoch wurde es als den Eltern nicht zumutbar angesehen, einen Ritus nicht durchführen zu können, der verlangt, in den Körper eines anderen Menschen einzugreifen — sofern es sich dabei um ihren Sohn handelt. Während üblicherweise der Grundsatz gilt, dass die eigene Religionsfreiheit "an der Nase des Anderen" endet, wurde hier eine Ausnahme legalisiert, die es Eltern ermöglichen soll, ihren eigenen, persönlichen religiösen Verpflichtungen nachzukommen, auch wenn dadurch mehrere Grundrechte des betroffenen Sohnes eingeschränkt werden. Für andere religiöse Traditionen gilt dies indes nicht, so wäre die rituelle Geißelung eines Kindes — unabhängig von ihrer religiösen Bedeutung für die Eltern — nach wie vor als Kindesmisshandlung strafbar und würde hierzulande vermutlich den Entzug des Sorgerechts zur Folge haben.
 
=== Geschäftsinteressen ===
 
Nur die Wenigsten wissen vermutlich, dass Beschneidungen mittlerweile ein lukrativer Wirtschaftszweig sind. Nicht nur an der Operation selber, auch an ggf. notwendigen Nachbehandlungen lässt sich verdienen. Doch während dies noch offensichtlich ist, gibt es auch weitere Branchen, die damit verdienen.
 
Vorhäute von Babys sind ein begehrter Rohstoff. Unter dem Namen "Apligraf" wird weltweit ein Kunsthautprodukt vertrieben, dass unter anderem als Alternative zur Eigenhautverpflanzung verwendet wird. Gezüchtet wird dies aus Vorhäuten möglichst junger Kinder. Weil diese zudem auch weitgehend frei von Krankheitserregern sind, dienen sie ebenso als Ausgangsbasis für Kollagen, das unter anderem für Anti-Falten-Behandlungen und zum Aufspritzen von Lippen verwendet wird. Der Hersteller des britischen Produktes "Vavelta" wirbt damit, "frisch geerntete (!) Vorhäute" zu verwenden. Es wird unter anderem als Ersatz für Tierversuche zur Verträglichkeit von Kosmetika eingesetzt. Angesichts der stetig sinkenden Zahl von Routine-Beschneidungen in den USA haben die Hersteller schon vor über 10 Jahren Sorge geäußert, nicht mehr ausreichend "Ernte" einfahren zu können. Die Eltern der beschnittenen Jungen wissen von diesem lukrativen "Zweitnutzen" der "gespendeten" Körperteile ihrer Söhne übrigens nur in den aller seltensten Fällen. Während z.B. die Präimplantationsdiagnostik, Stammzellenforschung und Gentechnik immer wieder sehr kritisch hinterfragt und diskutiert werden, ist die lebenslange, einschneidende Veränderung der Körper von Säuglingen zum Wohle der Kosmetikindustrie noch immer gängige Praxis — vermutlich wohl auch, weil viele Frauen nicht wissen, woraus ihre aufgespritzten Lippen und faltenfreien Wangen eigentlich bestehen — aus Babyvorhaut. Auch hier kann eine ethische Vertretbarkeit nicht als gegeben angesehen werden.
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