Shemuel Garber

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Shemuel Garber

Shemuel Garber ist ein amerikanischer Intaktivist, der momentan als Doktorand in Philosophie an der Universität Wien studiert.

2015, 2016, 2019 und 2020 spracher er auf dem WWDOGA in Köln, als Sprecher von intaktiv e.V.

2020 sprach er in einer Videobotschaft zum WWDOGA:

Hallo. Danke, dass Sie sich in den Weltweiten Tag der Genitalen Selbstbestimmung eingeklinkt haben. Wie Sie vielleicht wissen, würden wir unter normalen Umständen diese Veranstaltung live in Köln abhalten. Aufgrund der anhaltenden Pandemie ist ein solches persönliches Treffen natürlich nicht möglich.

Wie so viele Menschen auf der ganzen Welt auch, ändern wir gerade unsere Gewohnheiten und Handeln, um das höchste Ziel menschlichen Strebens zu erreichen: Leiden zu lindern. Die Bereitwilligkeit, mit der so viele Menschen die schwierigen Veränderungen der letzten Monate in Angriff genommen haben, ist ein Beweis für die transformative Kraft unseres menschlichen Wohlwollens. Dieselbe Kraft liegt der Bewegung um die Genitale Selbstbestimmung zugrunde.

Unser Thema dieses Jahr ist die Geschichte der Aufklärung zur Genitalen Selbstbestimmung. Ich dachte, ich nutze die Gelegenheit, um ein wenig davon zu erzählen, wie meine Erkenntnis in Bezug auf Genitale Selbstbestimmung entstand und sich weiterentwickelte. Ich werde dies mit einigen Gedanken darüber verknüpfen, wie die unkritische geschlechtsspezifische Einordnung des Menschenrechts auf Genitale Selbstbestimmung herrschaftliche und patriarchalische Schäden verursacht hat. Und schließlich werdeich darauf eingehen, warum wir jetzt besser als je zuvor in der Lage sind, genitale Unversehrtheit zu einem allgemeinen Menschenrecht zu machen.

Meine eigene Erkenntnis begann 2012, als ich in mein letztes Studienjahr eintrat. Ich reiste für ein Praktikum in einem Museum für zeitgenössische Kunst nach Berlin, ohne die Diskussionen zu kennen, die in ganz Deutschland stattfanden, nachdem das "Kölner Urteil" die Vorhautamputation an einem Jungen als Körperverletzung erkannte. Ich war ziemlich überrascht, als mich ein Mäzen des Museums nach meiner Meinung zur Beschneidung fragte. Ich war zu vorsichtig, um es während des folgenden Gesprächs zuzugeben, aber obwohl ich im Prinzip wusste, dass ich wie die meisten jüdischen amerikanischen Jungen beschnitten war, wusste ich nicht wirklich, was Beschneidung eigentlich war. Ich habe es einfach als einen guten, normalen Teil der Geburt angesehen, wie das Durchtrennen der Nabelschnur.

Als ich später anfing, das Thema näher zu erforschen, stellte ich jedoch fest, dass ohne meine Zustimmung und ohne ersichtlichen Zweck ziemlich viel funktionelles Gewebe aus meinem Körper entfernt worden war. Ich war schockiert und verletzt und stellte schnell fest, dass es vielen anderen ebenso geht und dass einige von ihnen aktiv für den Schutz des Rechts der Kinder auf körperliche Selbstbestimmung kämpfen. Wie viele andere war ich von dieser Bewegung angezogen, nachdem ich den unnötigen Schaden erkannte hatte, der meinem eigenen Körper zugefügt wurde. Diese Erkenntnis führte natürlich zu einem starken Bestreben, andere vor Schaden zu schützen, der ihnen zugefügt wurde.

Ich beschloss, meine Bachelorarbeit über die Beschneidung zu schreiben und verbrachte viele Monate damit, ihre Auswirkungen und ihre Geschichte zu erforschen. Während dieser Forschung las ich auch überaus viel über die weibliche Genitalbeschneidung. Interessanterweise stellte ich fest, dass diese Formen des Beschneidens weitaus häufiger verurteilt wurden als die männliche Beschneidung. Mir wurde klar, dass dies teilweise auf unterschiedliche Einschätzungen derjenigen Personen zurückzuführen ist, die weibliche und männliche Beschneidungen durchführen.

Das Beschneiden weiblicher Genitalien wird im Allgemeinen als grundlegender Ausdruck von nicht-westlicher Kultur angesehen, die es nicht geschafft hat, Respekt für die Selbstbestimmung von Frauen zu entwickeln. Männliche Beschneidung hingegen stellt man sich als eine medizinisch-religiöse Praxis vor, für die sich westliche Eltern entscheiden, die ihr Bestes tun, um ihrem Kind die größtmöglichen Vorteile im Leben zu bieten. Während nicht-westliche Eltern als eher passive Vermittler entweder rückständiger Traditionen oder importierter westlich-feministischer Werte angesehen werden, die sie vor diesen Traditionen bewahren, geht man bei westlichen Eltern davon aus, dass sie ihr Recht ausüben, ihre Kinder nach eigenem Ermessen zu erziehen.

Die Frage der genitalen Selbstbestimmung geschlechtsneutral zu betrachten, legt also eine rassistische Ideologie der weißen Besonderheit offen und erzeugt sie gleichermaßen. Dies ist jedoch nicht das einzige Problem dabei, Genitalbeschneidung durch eine gender-binäre Brille zu betrachten. Sich nur auf das Beschneiden männlicher Genitalien zu konzentrieren, bringt seine eigenen Fallstricke mit sich. Das Wichtigste dabei ist, das wirkliche Leiden einzelner Männer, denen ihre Selbstbestimmung verweigert wrde, mit der angenommenen strukturellen Unterdrückung von Männern als Gruppe in Verbindung zu bringen. Die letztere Annahme wird schnell offen frauenfeindlich und befindet sich immer auf einem Kollisionskurs mit feministischer Kritik.

Das ist deshalb eine falsche Annahme, da in Gesellschaften, in denen männliche Beschneidung praktiziert wird, Männer im Allgemeinen eine dominierende soziale Position einnehmen. Die versuchte Umkehrung des Feminismus ist ebenfalls selbstzerstörerisch. Feministische Kritik ist ein mächtiges Instrument, um patriarchalische Praktiken zu verstehen und zu überwinden, und alle Formen des Genitalbeschneidens sind patriarchalische Praktiken. Wir können diese kritische Tatsache nicht aus den Augen verlieren.

Das letzte Problem bei der geschlechtsspezifischen Betrachtung der genitalen Selbstbestimmung besteht darin, dass ausschließlich über die Verletzungen von Mädchen oder Jungen oder auch über beide zusammen zu sprechen, intersexuelle Menschen unsichtbar macht. Dies ist inakzeptabel, wenn man bedenkt, wie oft intersexuelle Kinder die schwersten und langanhaltendsten Verstöße gegen ihre genitale Selbstbestimmung erleiden, um sie auf chirurgischem Wege in die gesellschaftliche Illusion einer strengen geschlechtsspezifischen Binärdarstellung einzufügen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, die Diskussion der genitalen Selbstbestimmung von Genderfragen abhängig zu machen, behindert nur deren Fortschritt. Indem wir uns für den Schutz aller Kinder einsetzen, können wir uns in unserer Arbeit effektiver unterstützen und Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen finden, die für die Befreiung vom Patriarchat und vom Neokolonialismus kämpfen. Zum Glück haben wir heute eine Bewegung für genitale Selbstbestimmung, die diesen Anspruch größtenteils übernommen hat.

Bleiben wir dabei, bleiben wir offen und reagieren auf ehrliche Kritik. Auf diese Weise können wir mehr Menschen in diese Bewegung aufnehmen. Stellen Sie sich vor, Sie könnten zurückblicken und sagen, dass die Welt in den 20er-Jahren endlich das universelle Recht auf Genitalautonomie erkannt hat.
Shemuel Garber (WWDOGA 2020)[1]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. REFweb WWDOGA 2020 - Shemuel Garber, YouTube, MOGiS e.V.. Abgerufen 13. Mai 2020.