Erfahrungsberichte

Aus IntactiWiki
Version vom 31. März 2015, 12:13 Uhr von WikiAdmin (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „''(Der nachfolgende Text stammt aus dem Zirkumpendium:)'' Zirkumzisionen an Kindern und Säuglingen werden aus den unterschiedlichsten Motivationen he…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

(Der nachfolgende Text stammt aus dem Zirkumpendium:)

Zirkumzisionen an Kindern und Säuglingen werden aus den unterschiedlichsten Motivationen heraus durchgeführt. Ihnen allen ist eines gemein - die Folgen, die sie auf die Betroffenen haben. Über diese Folgen zu sprechen gehört zu den schwersten Überwindungen.

Kaum jemand fühlt sich wohl bei dem Gedanken, öffentlich über sexuelle oder psychische Probleme zu sprechen. Die Hemmschwelle, seine eigenen Schwächen und Verwundbarkeiten zu offenbaren ist hoch.Viele können diese Scham nicht einmal gegenüber der Familie, Freunden oder Ärzten überwinden.

In den USA kämpfen seit über 30 Jahren verschiedene Gruppen gegen die dort übliche Routine-Beschneidung an Säuglingen; in Europa erfuhr die bis dahin öffentlich kaum bemerkte Debatte im Zuge des Kölner Urteils von 2012 einen deutlichen Schub, und fand ihren Weg ins Licht des Öffentlichkeit. Seitdem haben sich mehr und mehr Betroffene geäußert, und ihr Leiden dokumentiert. Die Dunkelziffer dürfte beträchtlich sein, denn das Bild des "starken Mannes", der über mentale und körperliche Probleme erhaben zu sein hat, ist noch immer sehr präsent in den Köpfen der Menschen.

Viele verdrängen ihre Probleme oder schieben die Symptome auf andere Ursachen, um sich nicht der unangenehmen Wahrheit stellen zu müssen, dass sie unter den Folgen einer Operation leiden, die ihre Eltern in dem Glauben, das Beste für ihr Kind zu tun, veranlasst haben. Die unbewusste Weigerung, Teile der elterlichen Erziehung als etwas Negatives zu begreifen, lässt sich bei vielen Kindheitstraumata beobachten. Gerade im Zusammenhang mit religiös motivierten Beschneidungen bedeutet die Auseinandersetzung mit den Folgen der Zirkumzision oft auch eine kritische Betrachtung der Religion selber, denn wenn das als gut und wichtig gepriesene Ritual - das für den Beschnittenen ein Segen und ein Geschenk sein soll - die Ursache für persönliches Leiden ist, kann das die Richtigkeit der religiösen Gebote in Frage stellen. Oft fehlt in den Familien und Gemeinden das Verständnis und die Bereitschaft, das Ritual kritisch zu hinterfragen, und den Betroffenen wird kaum Empathie entgegengebracht.

Nicht wenige, die unter den Folgen ihrer religiös motivierten Beschneidung leiden und nun öffentlich darüber berichten, haben mit ihrer Religion gebrochen, und bei vielen hat es das Verhältnis zu den Eltern stark belastet. Ich habe einige Erfahrungsberichte und Leidensgeschichten gesammelt. Einige der Betroffenen baten aus Sorge um ihre Privatsphäre um Kürzung oder Änderung ihrer Namen. Um den Mut, anderen über ihren Leidensweg zu berichten, angemessen zu würdigen, habe ich die Berichte ungekürzt übernommen.


Hannes M.

Wenn ich heute an meine Beschneidung zurückdenke, erinnere ich mich nicht an körperliche Schmerzen. Sie wurde ja sauber und nach den Regeln der ärztlichen Kunst in einer Klinik durchgeführt.

Meinen Eltern mache ich keinen Vorwurf, sie handelten damals in gutem Glauben, da mein Kinderarzt die Operation als unbedingt nötig erachtete. Es galt nun mal die Regel, dass eine männliche Vorhaut bis zum Schuleintritt vollständig zurückziehbar sein musste. Und meine war es eben nicht. Und da ich nicht geradeaus pinkeln konnte sondern nur zur Seite, war das "Heilmittel" klar: Beschneidung.

Im Jahre 1980 war die radikale Entfernung der Vorhaut leider bei vielen Ärzten das einzige Mittel der Wahl. Und da es ja nur ein kleiner Eingriff sein würde, ohne irgendwelche negativen Folgen, hörten meine Eltern natürlich auf den Halbgott in Weiß. Von der Operation und auch der Zeit danach weiß ich nur noch sehr wenig. Am deutlichsten in Erinnerung ist mir, wie ich im Krankenbett liege, mit einem dicken Verbandsring um meinen Penis.

In der ersten Zeit danach war ich furchtbar gehemmt. Ich schämte mich, fühle mich als Außenseiter. Ich weigerte mich, mich nach dem Sport mit den anderen zu duschen, da ich mich wie ein Monster fühlte mit einem Penis, der nicht wie ein Penis aussah. Dazu kamen die schrecklichen, wulstigen Narben und lange Zeit das unangenehme Gefühl, wenn mein Penis in der Unterwäsche rieb. Erst langsam ließ das nach und ich beruhigte mich.

Als ich in die Pubertät kam und begann mich für Sexualität zu interessieren, las ich natürlich auch die Aufklärungsseiten der Bravo. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie oft dort davon gesprochen wurde, wie schön und hygienisch ein beschnittener Penis doch sei und wie ausdauernd beschnittene Männer beim Sex sind. All dies habe geglaubt und auch jahrelang selbst behauptet. Ich war stolz auf meinen beschnittenen Penis und darauf, wie "standfest" ich doch war.

Bei meiner Beschneidung wurde die komplette Vorhaut und damit alles sensitive Gewebe an deren Innenseite amputiert. Da die Eichel durch den Eingriff nun frei lag, wurde sie durch die ständigen Reizungen der Unterwäsche und die starken Reize durch Masturbation mit der Hand immer stärker verhornt und dadurch unempfindlicher. Verhornt bedeutet jetzt natürlich nicht, dass meine Eichel aussieht wie anderer Leute Ferse. Aber die Eichelhaut ist trocken, viel dicker und oft auch rissig. Aber keinesfalls ist sie mehr das, was sie bei einem gesunden Penis ist: Zart, feucht, empfindsam. Meine eigene Sexualität war von je her geprägt von Enttäuschungen. Enttäuschung darüber, dass die Gefühle, die ich dabei hatte, nicht so intensiv waren. Enttäuschung darüber, dass die Erfüllung oft ausblieb. Enttäuschung darüber, dass ich das Gefühl hatte, zu geben, doch nur wenig zu bekommen. Geschlechtsverkehr endete oft in der Bitte meiner Partnerinnen, ich möge doch bald zum Ende kommen, da sie selbst langsam Schmerzen hätten. Wohingegen ich in diesen Momenten meistens erst begann, intensive Gefühle zu entwickeln.

Die Schuld für all das schob ich aus Unwissenheit lange Zeit auf die jeweiligen Frauen, hielt sie für frigide oder unterstellte ihnen einfach "es nicht zu können". Erst seit kurzem ist mir klar, wie sehr ich doch im Unrecht war. Als der Drang einen sexuellen "Kick" zu erleben in mehrere Seitensprünge gipfelte, war auch meine Ehe beinahe kaputt.

Inzwischen haben wir es geschafft, unsere Ehe zu retten und dafür bin ich meiner Frau unsagbar dankbar. Meine Beschneidung hat mir einen großen Teil meiner Sexualität für immer genommen. Das belastet nicht nur mich sehr stark, sondern natürlich auch meine Frau, die sehr darunter leidet, dass Sie mir nicht das geben kann, was ich mir wünsche.

Mein Weg vom Befürworter zum Gegner der Beschneidung war lang.

Als vor etwa 5 Jahren bei meinem Sohn eine beschwerdefreie (eine sogenannte physiologische) Phimose festgestellt wurde, hätte ich aufgrund meines Glaubens um die angeblichen Vorteile sofort einer Beschneidung zugestimmt.

Ich hätte ihm die "bessere Ästhetik" und die "größere Ausdauer" gerne gegönnt. So konnte ich zunächst gar nicht verstehen, warum meine Frau sich dagegen wehrte und sich weigerte, der Beschneidung zuzustimmen. Bisher hatte ich immer gedacht, sie wäre von meinem "verbessertem" Penis ebenso überzeugt, wie ich - doch dem war nicht so.

Sie ging stattdessen zu einer Kinderurologin. Als diese meinen Sohn und seine harmlose Phimose sah, war sie regelrecht erschrocken über die Leichtfertigkeit, mit der unser Kinderarzt unseren Sohn hätte beschneiden wollen.

Ein wirkliches Schlüsselerlebnis hatte ich ca. zwei Jahre später. Ich hatte inzwischen in diversen Internetforen gelesen, dass die Haut einer beschnittenen Eichel mit der Zeit immer dicker wird und dadurch das Empfindungsvermögen abstumpft. Also versuchte ich, mit Gesichtspeeling der überflüssigen Hornhaut zu Leibe zu rücken. Dabei verspürte ich keineswegs Schmerz, nicht einmal unangenehme Gefühle.

Und da begriff ich langsam, was ich durch meine Vorhautamputation wirklich verloren hatte. Ich war schockiert: Was für mich mein Leben lang normal gewesen war, war in Wirklichkeit nur noch ein stumpfes "Restempfinden". Ich hatte an meinem Oberarm mehr Gefühl als an meiner eigentlich empfindlichsten Stelle.

Durch dieses Erlebnis verstand ich auch, warum es für so viele andere beschnittene Männer so schwer ist, sich ihres schweren Verlustes bewusst zu werden. Es bedeutet einen kaum vorstellbar großen Schritt, einsehen zu können, dass man eben nicht veredelt worden ist, sondern, im Gegenteil, so vieles verloren zu haben.

Inzwischen habe ich für mich persönlich eine Lösung gefunden. Sie besteht aus speziellen Latexüberzügen, die ich als Vorhautersatz benutze.

Der erste Oralsex, nachdem ich diese Hilfen etwa zwei Wochen lang getragen hatte, war unbeschreiblich intensiv. Nie zuvor hatte ich etwas Derartiges gefühlt. Ich muss seitdem nicht mehr krampfhaft darauf "hinarbeiten", möglichst schnell zum Höhepunkt zu kommen, sondern kann mich fallenlassen. Etwas, was ich zuvor kaum kannte: ich kann es nun wirklich genießen, mit meiner Frau zu schlafen. Und das, obwohl ich noch immer nur einen kleinen Teil dessen spüren kann, was ein intakter Mann fühlt.

Eine Beschneidung minderjähriger Kinder oder gar Säuglingen ohne zwingende medizinische Indikation stellt für mich inzwischen eindeutig einen Akt der Körperverletzung und Missbrauch Schutzbefohlener dar, sei sie nun aus religiösen, traditionellen, oder anderen, nicht medizinischen Motiven heraus passiert.


Önder Özgeday, 29

Ich wurde beschnitten im Alter von 10 Jahren. Da meine Eltern türkischer Herkunft sind, erübrigt sich die Frage nach dem „warum“, obwohl ich im Nachhinein auch erfuhr, dass ein deutscher Kinderarzt dies anordnete da meine Vorhaut nicht beweglich war.

Doch wir alle wissen heute, dass eine Phimose im Kindesalter normal ist und noch lange kein Grund ist für eine Beschneidung. Ich denke wenn ich Schmerzen gehabt hätte VOR dieser Prozedur, dann würde ich mich heute noch daran erinnern. Aber die Schmerzen kamen NACH dem Ritual. Der Beschneider war ein türkischer Arzt. Ich weiß bis heute nicht, ob meine Eltern diesen Menschen vorher auch schon kannten. Alles was ich weiß, ist dass er viele Jungs in unserem Bekanntenkreis beschnitt.

Ich erinnere mich daran, dass meine Eltern auf mich einredeten. Es sei wichtig und würde mir Vorteile bringen. Es wurde mir nahegebracht als etwas Selbstverständliches. Der erste Zahnarztbesuch, die erste Schultag...

Ich wurde schick eingekleidet und war mächtig aufgeregt. Ich würde meine Eltern mächtig stolz machen. Ich wollte keine Angst zeigen. Ich erinnere mich an den Moment, in dem ich mich auf den Metalltisch legte und meinen Penis auspackte. Voller Vertrauen. Das waren die letzten Minuten als vollständiger Mensch. Ich bekam eine Spritze und mein Unterleid wurde taub. Dann begann er. Ich erinnere mich an die Schneidegeräusche...Blut spritzte in sein Gesicht. Die junge Assistentin die half, schaute mich voller Mitleid an und dies verstand ich damals nicht. War es nichts schönes was gerade passierte? Wurde ich nicht zum Mann? Dann begann das Nähen. Als er fertig war und mein Penis in Verbände gepackt wurde, traten wir den Heimweg an. Die Schmerzen begannen auf dem Weg nach Hause. Sie waren unerträglich. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich um den Vertrauensbruch, den Verrat an mir. Die Schmerzen waren dermaßen unerträglich. Und es würde noch Monate so gehen. Es folgten nämlich Entzündungen und das ganze wollte einfach nicht heilen. Bald sollte auch die Feier folgen.

Bis heute leide ich an dem seelischen und auch körperlichen Schmerz. Ich höre oft den Ausdruck „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“. Ich bezweifle, dass meine Verstümmelung nach dieser durchgeführt wurde. Die körperlichen Schmerzen sind allgegenwärtig, das kosmetische Ergebnis miserabel. Ich habe das Gefühl, ein Amateur hat sich an mir vergangen. Ich fühle mich verraten von meinen Eltern, meiner Kultur, von Deutschland. Niemand schützte mich und alles was geschah und mich für immer brach war rechtens! Ich bin bis heute in Therapie und dieses Erlebnis hat mich für immer geprägt. Wenn ich die gegenwärtige Debatte hierzulande verfolge und merke wie unsensibel und wie verroht die meisten Menschen bezüglich dieses Themas sind tut es mir sehr weh. Es geht hierbei um Grundrechte eines jeden Menschen! Nicht um Religionsfreiheit oder Toleranz. Grundrechte sind nicht verhandelbar. Man diskutiert hier sogar über Vor- und Nachteile. Diese muss ein mündiges Individuum bevor er seinen Körper modifizieren lässt für sich selbst abwägen!!! Dies geht weit über das Elternrecht hinaus.

Vor einiger Zeit erfuhr ich von Menschen, die die Resthaut die ihnen geblieben ist mit bestimmten Apparaturen dehnen um so zumindest optisch einen intakten Penis zu haben. Auch ich werde dies in Angriff nehmen und hoffe dabei, dass es bei meiner "Heilung" hilft.


Anonym, 25

Ich wurde im Alter von 8 Tagen im Rahmen einer jüdischen Bris Zeremonie beschnitten. Meine Familie ist jüdisch-orthodox und betrachtet die Beschneidung als Notwendigkeit. Ich habe viele Beschneidungszeremonien in meiner Verwandtschaft miterlebt. Ich habe mich dabei immer sehr unwohl gefühlt, und einige meiner Onkel haben den Raum verlassen, wenn es ans Schneiden ging. Als ich begann zu masturbieren, war mir nicht klar, dass ich Gleitmittel benötigt hätte, und verletzte mich deshalb. Es kam ständig zu Aufschürfungen und blutete. Auch heute passiert das noch, wenn ich nicht ausreichend schmiere. Ich habe sehr starke Spannungen bei der Erektion. Manchmal wird nur die vordere Hälfte meines Penis steif, beginnend an der Narbe, die sich mittig am Schaft befindet. Man nennt das Lymphödem. Einige Male war es sehr schmerzhaft und blieb stundenlang geschwollen. Ich habe kein Frenulum mehr, an der Unterseite meiner Eichel gibt es nur Narbengewebe. Dort habe ich keinerlei Gefühl. Wenn ich meine Eichel nicht mit Hilfsmitteln anfeuchte, empfinde ich bei Berührungen am Penis praktisch keinerlei Stimulanz mehr. Vor knapp einem Jahr begann ich, meine Vorhaut zu restaurieren, habe es aber aufgrund meines sehr aktiven Lebensstils nicht regelmäßig getan. Ich radle sehr viel und tue andere Dinge, die Beweglichkeit erfordern. Ich glaube, dass in näherer Zukunft genug Haut nachgewachsen sein wird, um den Apparat auch bei diesen Aktivitäten zu tragen. Zur Zeit trage ich ihn nur 1-3 Stunden am Tag, versuche aber, es mir mehr zur Gewohnheit zu machen. Ein positives Ergebnis bis jetzt ist, dass meine Schafthaut etwas beweglicher ist. Es bringt mir auch psychologische Vorteile, mir selber zu helfen gibt mir viel Kraft.


Martin Wolper, 39

Ich bin in den 70ern geboren, mein älterer Bruder war bereits wegen sogenannter Phimose beschnitten worden, und ich kann mich erinnern, dass es seit ich denken kann hieß, ich hätte ebenfalls eine Vorhautverengung und wenn ich zur Schule käme, müsste "das gemacht werden". Meine Eltern glaubten dies wirklich im Bewusstsein, das beste für mich zu tun. Schließlich wurden damals schon im Untersuchungsheft für Kinder bei 2-Jährigen Phimosen diagnostiziert! In einem Alter also, wo dieser Zustand anatomisch völlig normal wäre.

Ich habe die Untersuchungen an meiner Vorhaut als sehr unangenehm und schmerzhaft in Erinnerung, ich erinnere auch, mich bis zum Vorschulalter dagegen gewehrt zu haben. Dann hatte ich den Erklärungen meiner Eltern Glauben geschenkt, es sei eben nötig und auch alles völlig problemlos.

Ein mit meinen Eltern befreundeter Chirurg sollte die OP ausführen.Einmal, als ich ca. 4 Jahre alt wahr, kamen er und sein Frau zu uns zum Abendessen und nachher vorm Schlafengehen sollte "Onkel X mich noch untersuchen": Ich weiß noch ganz genau, wie ich beim essen ganz hibbelig war, weil ich das nicht wollte. Nachher kamen alle, meine Eltern, "Onkel X" und sein Frau und mein Bruder, der von ihm ja schon beschnitten worden war, in mein Kinderzimmer. Ich lag schon im Bett und strampelte und wehrte mich, man hielt meine Beine fest, zog mir die Pyjamahose runter und ich schrie und erinnere mich genau an diesen Schmerz, wenn die enge Vorhaut mit Gewalt zurückgezogen wurde bzw. das versucht wurde, denn man konnte nur eine winzige Öffnung sehen, mein Bruder lachte dabei und alle anderen Zuschauenden sagten, es sei doch nicht so schlimm und gleich vorbei. Und das Urteil wurde auch gleich verkündet: Wenn ich zur Schule käme, würde "es gemacht".

Auch bei der Vorschuluntersuchung und der Schuluntersuchung in der 1. Klasse erinnere ich mich noch genau, wie ich vor der Schulärztin stand, sie mir die Unterhose vorne herunterzog und sogleich versuchte, meine Vorhaut zurückzuziehen, was selbst im schlaffen Zustand unmöglich war und stark schmerzte. Dann sagte sie, dies müsse "schleunigst operiert werden". In der 1. Klasse fand diese Untersuchung vor den Augen der Klassenlehrerin statt. Es bleibt also die Feststellung, dass die Schulmedizin zu der Zeit aber auch wirklich keine Gelegenheit ausließ, um Jungen völlig überflüssigen und im Falle von häufig anzutreffenden Verengungen schmerzhaften Untersuchungen an ihrem Penis auszuliefern – mit dem erklärten Ziel, dass im Grundschulalter allen noch bestehenden Phimosen durch komplette Vorhautamputationen beizukommen sei. Anders ist dieses permanent wiederholte „Durchsieben“ der Schulklassen nicht zu erklären.

Ich selbst hatte übrigens, solange ich noch über einen intakten Penis verfügte, also bis zum Alter von knapp sieben Jahren, niemals das Bedürfnis, meine enge Vorhaut zurückzuziehen. Dies war stets nur das besondere Interesse der Ärzte. Nie kamen bei mir Entzündungen vor. Unangenehm war einzig das Balloniren der Vorhaut beim Urinieren, was auch als dringendes Indiz für eine bald zu erfordernde Vorhautamputation betrachtet wurde. Welch lächerliche Einschätzung! Heute als fast Vierzigjähriger erdehne ich mir mit handelsüblichen Apparaten eine neue Vorhaut und gewinne pro Monat fast einen halben Zentimeter. Und für einen ungehinderten Harnstrahl wären nur wenige Millimeter mehr Vorhauteröffnung erforderlich gewesen – wie leicht hätte man mir da mit einfachsten Mitteln der vorsichtigen Dehnung helfen können – ohne meine ansonsten weder vernarbte noch entzündete Vorhaut zu opfern!

Obwohl meine Eltern offen über meine Phimose sprachen (auch gegenüber dritten, was mir immer sehr unangenehm war), klärten sie mich nie wirklich darüber auf, wie eine Vorhaut eigentlich funktionieren müsste. Auch mein Vater, der zu dem Zeitpunkt noch unbeschnitten war, zeigte mir nie an seinem Penis seine Vorhaut und wie mein Glied nach einer Beschneidung aussehen würde. Ich erinnere mich nur, dass meine Mutter einmal sagte, man könne auch nur einen Einschnitt an der Vorhaut vornehmen, aber dann "hinge sie wie ein Lappen" und da sei ein Wegschneiden besser und das hätten auch viele andere Jungs. Eine Therapie mit Salbe wurde bei mir nie versucht, es wurde eher darüber gelächelt, dass manche Leute meinten, man könne mit Dehnen eine Phimose beheben. Auch der mit meinen Eltern befreundete Arzt, der die Operation dann tatsächlich vornahm, als ich sechs Jahre alt war und mich auch mehrfach "untersucht" hatte (d.h. er hatte versucht, mir die Vorhaut mit Gewalt zurückzuschieben) war nicht Manns genug, mir z.B. an seinem eigenen Penis zu demonstrieren, wie eine Vorhaut zurückzuschieben ist und vor allem, wie ich meinen Penis nach der Operation vorfinden würde. Also erinnere ich mich noch genau an den Moment, wo ich anschließend das erste Mal meinen Penis sah, zutiefst erschrocken über die blutrote nackte Eichel, der Arzt sagte aber gleich, alles sei bestens gelaufen und ich müsse mir keine Sorgen machen.

Niemand hatte mir vorher gesagt, dass mein Penis optisch für immer verändert sein und nie mehr in seiner eigentlichen intendierten Form erlebbar sein würde.

In den Jahren danach habe ich unter meinem Beschnitten-sein eigentlich nicht gelitten, es gab ja dank der unnachgiebigen Suche der Ärzte noch einige andere Jungs in meiner Klasse, die mein Schicksal teilen mussten. Auch in der Pubertät änderte sich daran nichts und ich erlebte durchaus schönen Sex mit Freundinnen.

In den 20ern änderte sich dies. Immer mehr wurde mir mein Anderssein bewusst, ich fühlte mich meines kompletten Gliedes beraubt und der Erfahrung, wie es sich mit einer zurück schiebbaren Vorhaut anfühlte. Mich interessierte auch zunehmend, andere unbeschnittene Männer zu beobachten. Der Gedanke an einen schlaffen unbeschnittenen Penis mit üppiger Vorhaut und besonders deren Bewegung begann mich stark sexuell zu erregen. Also das zu sehen und zu fühlen, was ich selbst nicht hatte, niemals erleben durfte und mir doch so sehr wünschte.

Ich beneidete zunehmend unbeschnittene Männer um ihr ungetrübtes Verhältnis zu ihrem Penis, verbunden mit einem Sich-unterlegen-fühlen. Das hemmt mich auch zunehmend gegenüber Frauen, obwohl ich weiß, dass Frauen in der Regel nichts gegen beschnittene Penisse haben.

Drei Entscheidungen haben mir außerordentlich geholfen:

  1. das Ausleben des durch die als Kind erlebte Fixierung der Erwachsenen auf meine enge Vorhaut ausgelösten Vorhaut-"Fetischs". Ich habe ihn schließlich als eine Form von Bisexualität akzeptiert und gelernt sie zu genießen – mich an dem, was ich selbst so sehr vermisse, bei anderen zu erfreuen. Ob die Faszination daran nachlässt, wenn ich in einigen Jahren hoffentlich wieder eine "neue" Vorhaut habe, wird sich zeigen.
  2. Der Beginn des Vorhaut-Restorings. Endlich spüre ich wieder, Herr über meinen Körper zu werden und aus dieser Passivität herauszutreten, dass da etwas mit mir geschehen ist. Die Folgen dieser Maßnahme sind eine in dem Maße unerwartete und nicht für möglich gehaltene Resensibilisierung der Eichel und des Restes der inneren Vorhaut. Dies beweist mir nun auch in eigener Erfahrung, WIEVIEL die Vorhautamputation an sexueller Empfindsamkeit zerstört, z.T. für immer, z.T. aber auch tatsächlich zurückholbar.
    Niemand hat das Recht, so etwas an anderen zu tun.
    JEDER Betroffene ist BETROFFEN, unabhängig davon, ob er sich darüber im Klaren, glücklich oder unglücklich ist. Ich war mir selbst 25 Jahre lang dessen nicht bewusst und doch die gesamte Zeit in meinem sexuellen Erleben stark limitiert.
    Ich möchte jedem Mann Mut machen, sich auf die Suche dieser verlorenen Sensibilität zu machen. Sie gehört (zu) uns!
  3. Das Outing meiner Beschneidungserfahrung im Rahmen der Diskussion um die inzwischen erfolgte völlige Legalisierung der Zwangsbeschneidung aus jeglichem Grund. Die Befürworter haben mich mit ihren unfassbaren Äußerungen derart provoziert und verletzt, dass ich gar nicht anders konnte, als mich öffentlich zu äußern und mich zu engagieren.

Abschließend möchte ich sagen, dass ich sehr froh bin, dass es heutzutage ja wohl einigermaßen Usus ist, Phimosen erst mal mit Salbentherapie zu behandeln, und somit den Jungs eine Beschneidung häufiger erspart bleibt. Mir wäre sie heute vielleicht auch erspart geblieben... jedenfalls zeigt mein Beispiel, dass man im Grundschulalter einfach zu jung ist, um Spätfolgen einen solchen irreversiblen Eingriffs zu verstehen und selbst bei im Prinzip verständnisvollen Begleitung meiner Eltern Gefühle von Machtlosigkeit und Ausgeliefertsein bleiben.


Jonathon Conte, 31, San Francisco

Als Kind wuchs ich auf in dem Glauben, mein Körper wäre vollständig. Ich wuchs auf in der Annahme, dass mein Penis aussah und funktionierte wie jeder andere. Ich wuchs auf und dachte, die Narbe an meinem Genital wäre ein natürlicher Teil meines Körpers, und dass jeder Mann sie hätte. Ich wuchs auf und meinte, dass das Wund scheuern durch meine Kleidung und durch das Masturbieren normale Bestandteile des Mann-seins wären. Ich habe nie hinterfragt, warum mir so viele Sorten Unterwäsche solche Schmerzen bereiteten, ich wunderte mich nur wie irgend jemand es fertigbrachte, sie zu tragen.

Ich war ungefähr 14 Jahre alt, als ich erfuhr, dass ein Teil meines Penis abgeschnitten worden war. Man sollte meinen, das würde einem schon viel früher im Leben auffallen, mir jedoch nicht. Mir wurde nie etwas über die normale männliche Anatomie beigebracht, und niemand hatte mit je gesagt, dass ich als Säugling an den Genitalien operiert worden war. Als ich die schreckliche Wahrheit erfuhr, hatte ich Steine im Magen, und es schnürte mir die Kehle zu.

Es war nicht einfach für mich, die Realität zu akzeptieren. Obwohl ich mir bewusst war, dass ein Teil meines Körpers entfernt worden war, verdrängte ich, was das bedeutete. Ich litt unter Depressionen, besonders wenn ich meinen Penis sehen musste. Jedes Mal, wenn ich mich auszog, um zu duschen, sah ich die Narbe, und wurde an das erinnert, was mir gestohlen wurde. Jedes Mal, wenn ich Wasser ließ, wurde ich daran erinnert dass ich nie wissen würde, wie mein Körper hätte aussehen sollen, und wie mein Körper sich hätte anfühlen sollen. Ich fühlte mich misshandelt und hilflos. Ich fühlte Scham und Wut. Ich fühlte mich bestohlen und betrogen. Ich fühlte mich unvollständig und verletzt. Und doch konnte ich nichts davon in Worte fassen. Ich war gelähmt von der Scham über meinen Zustand, und der Angst, andere würden mich weder verstehen noch Mitgefühl haben.

Es bedurfte über ein Jahrzehnt des Versuchens, mit meinen Gefühlen zurecht zu kommen, bevor ich die Kraft fand, mir die Sache genauer anzusehen. Ich las über die Funktionen des intakten Penis. Ich befasste mich mit den zahlreichen physischen, physiologischen und psychologischen Problemen die durch die männliche Beschneidung entstehen, und ich fand viele von ihnen in meinem eigenen Leben wieder. Ich erfuhr, wie die Babies während der Prozedur fixiert werden, und die verschiedenen Methoden, mit denen an ihren kleinen Körpern gerissen, geklemmt, gequetscht und geschnitten wird. Ich begriff die Gier, die Arroganz und die Ignoranz, die die genitale Verstümmelung von Kindern vorantrieben.

Nun schweige ich nicht mehr. Denn ich will verhindern, das weitere Kinder die selben schmerzhaften Entdeckungen machen müssen wie ich es musste: dass man ihnen das Menschenrecht vorenthielt, den ganzen Körper zu behalten, mit dem sie geboren wurden.

(Jonathon Conte ist Events Coordinator bei Bay Area Intactivists, USA. Diese Rede, die er uns freundlicherweise zur Verfügung stellte, hielt er im Rahmen der AAP Conference in New Orleans im Oktober 2012. Übersetzt aus dem Englischen durch S.Schritt)[1]

Einzelnachweise