Diskussion:Alexander Bachl

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Offener Brief von Alexander Bachl vom 23. August 2012 an den deutschen Kinderschutzbund

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin entsetzt von der Aussage Heinz Hilgers, dass die rituelle Beschneidung zu legalisieren sei.

Ich wurde mit 6 beschnitten. Mein Vater, der leider vor einigen Jahren verstarb, zwang mich aus religiöser Überzeugung. Meine Mutter, die anfangs skeptisch war, wurde von ihm, den Ärzten und muslimischen Bekannten überredet. Keiner von denen wusste wirklich, was Beschneidung bedeutet. Außer der Arzt, aber der sagte nichts. Nur das es sehr gut ist, und sehr hygienisch.

Da ich seit einer Krankheit im Kindesalter Probleme mit meinem Gehör habe sollte ich zu einer Untersuchung in der ich unter Vollnarkose operiert werden musste. Diese Chance namen meine Eltern wahr um mich beschneiden zu lassen.

Mir hat man nichts gesagt. Aus Angst, ich könnte eine Szene machen. Ich bin ins Krankenhaus gefahren und alle waren sehr nett zu mir. Dann bekam ich die Narkose. Das nächste, was ich weiß, ist, dass ich nackt auf der Bettkante sitze und bitterlich weine. Mein Penis sieht grotesk aus, er ist so geschwollen, dass er fast rund ist. Die Eichel, die ich davor noch nie gesehen habe, ist pink. Ein komischer Ring ist an ihrem Ende und hält die Haut zurück. Es tut furchtbar weh. Mein Vater beteuert immer wieder, wie stolz er auf mich ist. Dass ich jetzt ein richtiger Muslim sei. Ich weine trotzdem.

Die nächsten drei Wochen waren eine Qual. Ich weiß nicht, ob die Narben weh taten oder die vertrocknende freigelegte Eichel. Ich konnte keine Hose tragen. Ich konnte nicht laufen. Ich konnte mich im Bett nicht zudecken. Ich lag stundenlang im Bett auf dem Rücken mit angewinkelten Knien, damit die Decke meine Eichel nicht berührt. Tagelang. Ich weinte häufig. Das erste Mal, als ich aufs Klo ging, wusste ich nicht, was passieren würde. Ich hatte Angst, es könnte weh tun. Ich hatte Recht. Von nun an hielt ich es zurück, bis es nicht mehr ging. Der Druck war deshalb größer. Es war schlimmer. Aber ich hatte Angst.

Irgendwann tat es nicht mehr weh. Ich konnte keine engen Hosen tragen. Wie lange, weiß ich nicht. Es kommt mir heute wie eine Ewigkeit vor. Aber auch das verging. Irgendwann.

Eines Tages spielte ich mit meinen Freunden in der Umgebung. Einer sagte, er müsse aufs Klo. Ich musste auch. Wir gingen zu einem Busch. Er machte die Hose auf und pinkelte. Ich pinkelte nicht. Ich schämte mich. Zum ersten Mal. Die Scham blieb. Bis heute. In der Schule beim Schwimmunterricht kämpfte ich mich immer ganz vorne an die Tür, um den Platz an der Ecke zu bekommen. Während die anderen Jungs nackt herumalberten, zog ich mich mithilfe eines Handtuchs um und verließ den Raum fluchtartig. In der Sauna zog ich immer eine Badehose an. Ich ging nie in Gemeinschaftsduschen. Niemand durfte wissen, dass ich anders war. Ich wollte immer gerne wie die anderen sein. Einfach mal mit meinen Freunden nackt in den See springen. Sprüche wie: "Der will uns seinen kleinen Schwanz nicht zeigen!" ertrug ich. Ich lachte mit. Niemand durfte den wahren Grund wissen. Heute weiß ich, dass ich nicht ausgelacht werden würde, aber das "nicht nackt sein dürfen" brannte sich so in mein Unterbewusstsein, dass ich bis heute nicht die Kraft finde, diese Angewohnheit zu überwinden.

Irgendwann begann ich über all das nachzudenken. Wieso bin ich beschnitten? Weil ich ein Muslim bin. Wieso bin ich ein Muslim? Mir fiel keine Antwort ein. Also wieso bin ich beschnitten?

Ich sprach nie mit Freunden oder Freundinnen über meine Beschneidung. Und sie fragten auch wenig. "Mein Vater ist halt Muslim" reichte immer als Antwort. Zum Glück.

Erst jetzt beginne ich mich mit Beschneidung auseinanderzusetzen. Erst jetzt mit 23 lese ich über die sexuellen Folgen. Lese ich über den Sensitivitätsverlust. Ich habe nie einen unbeschnittenen Penis erigiert gesehen und war sehr überrascht, als ich las, dass die Eichel weich, feucht und empfindlich ist. Ich lese über Verhornung, über Stimulanzzonen wie innere Vorhaut, Dorsalnerv oder Vorhautbändchen. Lese, dass beschnittene Männer nur die Schnittnarbe zur Stimulierung haben, da dort noch Reste der so sensiblen Vorhaut kleben. Ich denke darüber, wie Sex sich anfühlen könnte. Wenn alles noch da wäre. Aber das ist es nicht.

Ja, es stimmt. Ich kann länger. Noch kann ich nur länger. Aber ab wann kann ich gar nicht mehr? Ich bin 23 Jahre alt. Das heißt auch, dass ich mit ca. 23 jährigen Frauen schlafe. Aber ich muss kämpfen. Unter 20 min geht nichts. Manchmal habe ich nach einer Stunde einfach keine Lust mehr und gebe auf. Ich war deshalb bei einem Urologen. Dieser sagte mir, bei der Beschneidung würden 70% der für die sexuelle Sensibilität zuständigen Nerven entfernt, da sie auf der Vorhaut sitzen. Die Nerven auf der Eichel liegen in der Schleimhaut, die ohne den Schutz der Vorhaut austrocknet. Durch die ständige Reibung an der Hose würden die Nerven mit der Zeit absterben. Ich habe große Angst impotent zu werden.

Meine Beschneidung ist das Schlimmste, was man mir je angetan hat. Sie hat mein gesamtes Leben beeinflusst. Hat mich immer mit Scham erfüllt. Meiner Mutter tut es sehr leid. Sie sagt, sie würde es nie wieder tun. Das hilft seelisch, aber nicht körperlich. Meine Vorhaut ist weg und kommt nicht wieder.

Auf ihrer Homepage nennen Sie sich die Lobby für Kinder, aber Sie haben die Kinder verraten. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, eine Möglichkeit zu suchen, Eltern von der Beschneidung ihrer Söhne abzuhalten. Sie sind den Weg des geringsten Widerstandes gegangen.

Mit dieser Entscheidung nehmen Sie willentlich das Leid vieler Kinder in Kauf. Denn bei Weitem nicht jedes Kind will beschnitten werden und bei Weitem nicht jeder Beschnittene ist glücklich darüber. Was sagen Sie einem 12 jährigen, dessen Mutter einen Muslim kennengelernt hat, der fordert, dass der Junge beschnitten wird? Wie soll sich ein 12 jähriger wehren können, wenn er gezwungen wird?

Als Beschnittener hat man keine Möglichkeit Gerechtigkeit zu finden. Ich weiß es, ich habe versucht Strafanzeige zu stellen, aber alle Ansprüche, die ich hatte, verjährten, als ich 11 Jahre alt war. Man hat keine Chance. Am Anfang kann man sich nicht wehren und später darf man nicht mehr.

Ich fordere Sie auf, Ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. Diese ganze Debatte hat sich zu einer Farce entwickelt. Der Ethikrat erringt in einer harten Diskussion mit der religiösen Verbänden, dass die Kinder betäubt werden sollen. Wann stand denn bitte jemals zu Diskussion, ob man seine Kinder foltern darf? Es stand zur Diskussion, ob die Entscheidung der Eltern genügt, eine irreversible Operation mit gravierenden Auswirkungen zuzulassen.

Die religiösen Verbände schreien so laut, dass man das Weinen der Kinder leicht überhört. Bei Mädchen sind zurecht selbst Ersatzrituale wie das Anritzen der Klitoris mit einer Klinge, ohne zu schneiden, streng verboten. Bei kleinen Jungen darf man 50% der Haut des Penises entfernen, weil es der Glaube verlangt, man es schöner findet, man der spätere Freundin einen Gesundheitsbonus geben oder man seinem Kind das Onanieren erschweren will.

Jungen, die in die Geschlechtsreife kommen, sind sehr leicht erregbar. Oft bekommen Sie beim Aufzeichnen der Schnittlinien eine Erektion oder einen Samenerguss. Es ist unvorstellbar peinlich für sie und vielen das Schlimmste bei dem Gedanken an ihre Beschneidung. Trotzdem sind bei der Behandlung Mütter und Väter, Schwester und Brüder, Tanten und Omas, Lehrer und Heimleiter, Freunde und Bekannte anwesend. Auf die Würde der Jungen wird in keiner Form geachtet. Im Gegenteil, man lacht sie aus. Sie sollen sich nicht so anstellen, es sind schließlich Jungs.

Wenn Sie Ihre Meinung nicht ändern und weiterhin für die Legalisierung der Knabenbeschneidung eintreten, werden viele Bürger die Achtung vor Ihnen verlieren. Denn wer außer Ihnen soll die Kinder sonst beschützen.

Schwer enttäuscht und voller Sorge schreibt Ihnen

Alexander Bachl