Erfahrungsberichte

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(Der nachfolgende Text stammt zum Teil aus dem Zirkumpendium:)

Zirkumzisionen an Kindern und Säuglingen werden aus den unterschiedlichsten Motivationen heraus durchgeführt. Ihnen allen ist eines gemein - die Folgen, die sie auf die Betroffenen haben. Über diese Folgen zu sprechen gehört zu den schwersten Überwindungen.

Kaum jemand fühlt sich wohl bei dem Gedanken, öffentlich über sexuelle oder psychische Probleme zu sprechen. Die Hemmschwelle, seine eigenen Schwächen und Verwundbarkeiten zu offenbaren ist hoch.Viele können diese Scham nicht einmal gegenüber der Familie, Freunden oder Ärzten überwinden.

In den USA kämpfen seit über 30 Jahren verschiedene Gruppen gegen die dort übliche Routine-Beschneidung an Säuglingen; in Europa erfuhr die bis dahin öffentlich kaum bemerkte Debatte im Zuge des Kölner Urteils von 2012 einen deutlichen Schub, und fand ihren Weg ins Licht des Öffentlichkeit. Seitdem haben sich mehr und mehr Betroffene geäußert, und ihr Leiden dokumentiert. Die Dunkelziffer dürfte beträchtlich sein, denn das Bild des "starken Mannes", der über mentale und körperliche Probleme erhaben zu sein hat, ist noch immer sehr präsent in den Köpfen der Menschen.

Viele verdrängen ihre Probleme oder schieben die Symptome auf andere Ursachen, um sich nicht der unangenehmen Wahrheit stellen zu müssen, dass sie unter den Folgen einer Operation leiden, die ihre Eltern in dem Glauben, das Beste für ihr Kind zu tun, veranlasst haben. Die unbewusste Weigerung, Teile der elterlichen Erziehung als etwas Negatives zu begreifen, lässt sich bei vielen Kindheitstraumata beobachten. Gerade im Zusammenhang mit religiös motivierten Beschneidungen bedeutet die Auseinandersetzung mit den Folgen der Zirkumzision oft auch eine kritische Betrachtung der Religion selber, denn wenn das als gut und wichtig gepriesene Ritual - das für den Beschnittenen ein Segen und ein Geschenk sein soll - die Ursache für persönliches Leiden ist, kann das die Richtigkeit der religiösen Gebote in Frage stellen. Oft fehlt in den Familien und Gemeinden das Verständnis und die Bereitschaft, das Ritual kritisch zu hinterfragen, und den Betroffenen wird kaum Empathie entgegengebracht.

Nicht wenige, die unter den Folgen ihrer religiös motivierten Beschneidung leiden und nun öffentlich darüber berichten, haben mit ihrer Religion gebrochen, und bei vielen hat es das Verhältnis zu den Eltern stark belastet. Ich habe einige Erfahrungsberichte und Leidensgeschichten gesammelt. Einige der Betroffenen baten aus Sorge um ihre Privatsphäre um Kürzung oder Änderung ihrer Namen. Um den Mut, anderen über ihren Leidensweg zu berichten, angemessen zu würdigen, habe ich die Berichte ungekürzt übernommen.


Inhaltsverzeichnis

Hannes M.

Wenn ich heute an meine Beschneidung zurückdenke, erinnere ich mich nicht an körperliche Schmerzen. Sie wurde ja sauber und nach den Regeln der ärztlichen Kunst in einer Klinik durchgeführt.

Meinen Eltern mache ich keinen Vorwurf, sie handelten damals in gutem Glauben, da mein Kinderarzt die Operation als unbedingt nötig erachtete. Es galt nun mal die Regel, dass eine männliche Vorhaut bis zum Schuleintritt vollständig zurückziehbar sein musste. Und meine war es eben nicht. Und da ich nicht geradeaus pinkeln konnte sondern nur zur Seite, war das "Heilmittel" klar: Beschneidung.

Im Jahre 1980 war die radikale Entfernung der Vorhaut leider bei vielen Ärzten das einzige Mittel der Wahl. Und da es ja nur ein kleiner Eingriff sein würde, ohne irgendwelche negativen Folgen, hörten meine Eltern natürlich auf den Halbgott in Weiß. Von der Operation und auch der Zeit danach weiß ich nur noch sehr wenig. Am deutlichsten in Erinnerung ist mir, wie ich im Krankenbett liege, mit einem dicken Verbandsring um meinen Penis.

In der ersten Zeit danach war ich furchtbar gehemmt. Ich schämte mich, fühle mich als Außenseiter. Ich weigerte mich, mich nach dem Sport mit den anderen zu duschen, da ich mich wie ein Monster fühlte mit einem Penis, der nicht wie ein Penis aussah. Dazu kamen die schrecklichen, wulstigen Narben und lange Zeit das unangenehme Gefühl, wenn mein Penis in der Unterwäsche rieb. Erst langsam ließ das nach und ich beruhigte mich.

Als ich in die Pubertät kam und begann mich für Sexualität zu interessieren, las ich natürlich auch die Aufklärungsseiten der Bravo. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie oft dort davon gesprochen wurde, wie schön und hygienisch ein beschnittener Penis doch sei und wie ausdauernd beschnittene Männer beim Sex sind. All dies habe geglaubt und auch jahrelang selbst behauptet. Ich war stolz auf meinen beschnittenen Penis und darauf, wie "standfest" ich doch war.

Bei meiner Beschneidung wurde die komplette Vorhaut und damit alles sensitive Gewebe an deren Innenseite amputiert. Da die Eichel durch den Eingriff nun frei lag, wurde sie durch die ständigen Reizungen der Unterwäsche und die starken Reize durch Masturbation mit der Hand immer stärker verhornt und dadurch unempfindlicher. Verhornt bedeutet jetzt natürlich nicht, dass meine Eichel aussieht wie anderer Leute Ferse. Aber die Eichelhaut ist trocken, viel dicker und oft auch rissig. Aber keinesfalls ist sie mehr das, was sie bei einem gesunden Penis ist: Zart, feucht, empfindsam. Meine eigene Sexualität war von je her geprägt von Enttäuschungen. Enttäuschung darüber, dass die Gefühle, die ich dabei hatte, nicht so intensiv waren. Enttäuschung darüber, dass die Erfüllung oft ausblieb. Enttäuschung darüber, dass ich das Gefühl hatte, zu geben, doch nur wenig zu bekommen. Geschlechtsverkehr endete oft in der Bitte meiner Partnerinnen, ich möge doch bald zum Ende kommen, da sie selbst langsam Schmerzen hätten. Wohingegen ich in diesen Momenten meistens erst begann, intensive Gefühle zu entwickeln.

Die Schuld für all das schob ich aus Unwissenheit lange Zeit auf die jeweiligen Frauen, hielt sie für frigide oder unterstellte ihnen einfach "es nicht zu können". Erst seit kurzem ist mir klar, wie sehr ich doch im Unrecht war. Als der Drang einen sexuellen "Kick" zu erleben in mehrere Seitensprünge gipfelte, war auch meine Ehe beinahe kaputt.

Inzwischen haben wir es geschafft, unsere Ehe zu retten und dafür bin ich meiner Frau unsagbar dankbar. Meine Beschneidung hat mir einen großen Teil meiner Sexualität für immer genommen. Das belastet nicht nur mich sehr stark, sondern natürlich auch meine Frau, die sehr darunter leidet, dass Sie mir nicht das geben kann, was ich mir wünsche.

Mein Weg vom Befürworter zum Gegner der Beschneidung war lang.

Als vor etwa 5 Jahren bei meinem Sohn eine beschwerdefreie (eine sogenannte physiologische) Phimose festgestellt wurde, hätte ich aufgrund meines Glaubens um die angeblichen Vorteile sofort einer Beschneidung zugestimmt.

Ich hätte ihm die "bessere Ästhetik" und die "größere Ausdauer" gerne gegönnt. So konnte ich zunächst gar nicht verstehen, warum meine Frau sich dagegen wehrte und sich weigerte, der Beschneidung zuzustimmen. Bisher hatte ich immer gedacht, sie wäre von meinem "verbessertem" Penis ebenso überzeugt, wie ich - doch dem war nicht so.

Sie ging stattdessen zu einer Kinderurologin. Als diese meinen Sohn und seine harmlose Phimose sah, war sie regelrecht erschrocken über die Leichtfertigkeit, mit der unser Kinderarzt unseren Sohn hätte beschneiden wollen.

Ein wirkliches Schlüsselerlebnis hatte ich ca. zwei Jahre später. Ich hatte inzwischen in diversen Internetforen gelesen, dass die Haut einer beschnittenen Eichel mit der Zeit immer dicker wird und dadurch das Empfindungsvermögen abstumpft. Also versuchte ich, mit Gesichtspeeling der überflüssigen Hornhaut zu Leibe zu rücken. Dabei verspürte ich keineswegs Schmerz, nicht einmal unangenehme Gefühle.

Und da begriff ich langsam, was ich durch meine Vorhautamputation wirklich verloren hatte. Ich war schockiert: Was für mich mein Leben lang normal gewesen war, war in Wirklichkeit nur noch ein stumpfes "Restempfinden". Ich hatte an meinem Oberarm mehr Gefühl als an meiner eigentlich empfindlichsten Stelle.

Durch dieses Erlebnis verstand ich auch, warum es für so viele andere beschnittene Männer so schwer ist, sich ihres schweren Verlustes bewusst zu werden. Es bedeutet einen kaum vorstellbar großen Schritt, einsehen zu können, dass man eben nicht veredelt worden ist, sondern, im Gegenteil, so vieles verloren zu haben.

Inzwischen habe ich für mich persönlich eine Lösung gefunden. Sie besteht aus speziellen Latexüberzügen, die ich als Vorhautersatz benutze.

Der erste Oralsex, nachdem ich diese Hilfen etwa zwei Wochen lang getragen hatte, war unbeschreiblich intensiv. Nie zuvor hatte ich etwas Derartiges gefühlt. Ich muss seitdem nicht mehr krampfhaft darauf "hinarbeiten", möglichst schnell zum Höhepunkt zu kommen, sondern kann mich fallenlassen. Etwas, was ich zuvor kaum kannte: ich kann es nun wirklich genießen, mit meiner Frau zu schlafen. Und das, obwohl ich noch immer nur einen kleinen Teil dessen spüren kann, was ein intakter Mann fühlt.

Eine Beschneidung minderjähriger Kinder oder gar Säuglingen ohne zwingende medizinische Indikation stellt für mich inzwischen eindeutig einen Akt der Körperverletzung und Missbrauch Schutzbefohlener dar, sei sie nun aus religiösen, traditionellen, oder anderen, nicht medizinischen Motiven heraus passiert.


Önder Özgeday, 29

Ich wurde beschnitten im Alter von 10 Jahren. Da meine Eltern türkischer Herkunft sind, erübrigt sich die Frage nach dem „warum“, obwohl ich im Nachhinein auch erfuhr, dass ein deutscher Kinderarzt dies anordnete da meine Vorhaut nicht beweglich war.

Doch wir alle wissen heute, dass eine Phimose im Kindesalter normal ist und noch lange kein Grund ist für eine Beschneidung. Ich denke wenn ich Schmerzen gehabt hätte VOR dieser Prozedur, dann würde ich mich heute noch daran erinnern. Aber die Schmerzen kamen NACH dem Ritual. Der Beschneider war ein türkischer Arzt. Ich weiß bis heute nicht, ob meine Eltern diesen Menschen vorher auch schon kannten. Alles was ich weiß, ist dass er viele Jungs in unserem Bekanntenkreis beschnitt.

Ich erinnere mich daran, dass meine Eltern auf mich einredeten. Es sei wichtig und würde mir Vorteile bringen. Es wurde mir nahegebracht als etwas Selbstverständliches. Der erste Zahnarztbesuch, die erste Schultag...

Ich wurde schick eingekleidet und war mächtig aufgeregt. Ich würde meine Eltern mächtig stolz machen. Ich wollte keine Angst zeigen. Ich erinnere mich an den Moment, in dem ich mich auf den Metalltisch legte und meinen Penis auspackte. Voller Vertrauen. Das waren die letzten Minuten als vollständiger Mensch. Ich bekam eine Spritze und mein Unterleid wurde taub. Dann begann er. Ich erinnere mich an die Schneidegeräusche...Blut spritzte in sein Gesicht. Die junge Assistentin die half, schaute mich voller Mitleid an und dies verstand ich damals nicht. War es nichts schönes was gerade passierte? Wurde ich nicht zum Mann? Dann begann das Nähen. Als er fertig war und mein Penis in Verbände gepackt wurde, traten wir den Heimweg an. Die Schmerzen begannen auf dem Weg nach Hause. Sie waren unerträglich. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich um den Vertrauensbruch, den Verrat an mir. Die Schmerzen waren dermaßen unerträglich. Und es würde noch Monate so gehen. Es folgten nämlich Entzündungen und das ganze wollte einfach nicht heilen. Bald sollte auch die Feier folgen.

Bis heute leide ich an dem seelischen und auch körperlichen Schmerz. Ich höre oft den Ausdruck „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“. Ich bezweifle, dass meine Verstümmelung nach dieser durchgeführt wurde. Die körperlichen Schmerzen sind allgegenwärtig, das kosmetische Ergebnis miserabel. Ich habe das Gefühl, ein Amateur hat sich an mir vergangen. Ich fühle mich verraten von meinen Eltern, meiner Kultur, von Deutschland. Niemand schützte mich und alles was geschah und mich für immer brach war rechtens! Ich bin bis heute in Therapie und dieses Erlebnis hat mich für immer geprägt. Wenn ich die gegenwärtige Debatte hierzulande verfolge und merke wie unsensibel und wie verroht die meisten Menschen bezüglich dieses Themas sind tut es mir sehr weh. Es geht hierbei um Grundrechte eines jeden Menschen! Nicht um Religionsfreiheit oder Toleranz. Grundrechte sind nicht verhandelbar. Man diskutiert hier sogar über Vor- und Nachteile. Diese muss ein mündiges Individuum bevor er seinen Körper modifizieren lässt für sich selbst abwägen!!! Dies geht weit über das Elternrecht hinaus.

Vor einiger Zeit erfuhr ich von Menschen, die die Resthaut die ihnen geblieben ist mit bestimmten Apparaturen dehnen um so zumindest optisch einen intakten Penis zu haben. Auch ich werde dies in Angriff nehmen und hoffe dabei, dass es bei meiner "Heilung" hilft.


Anonym, 25

Ich wurde im Alter von 8 Tagen im Rahmen einer jüdischen Bris Zeremonie beschnitten. Meine Familie ist jüdisch-orthodox und betrachtet die Beschneidung als Notwendigkeit. Ich habe viele Beschneidungszeremonien in meiner Verwandtschaft miterlebt. Ich habe mich dabei immer sehr unwohl gefühlt, und einige meiner Onkel haben den Raum verlassen, wenn es ans Schneiden ging. Als ich begann zu masturbieren, war mir nicht klar, dass ich Gleitmittel benötigt hätte, und verletzte mich deshalb. Es kam ständig zu Aufschürfungen und blutete. Auch heute passiert das noch, wenn ich nicht ausreichend schmiere. Ich habe sehr starke Spannungen bei der Erektion. Manchmal wird nur die vordere Hälfte meines Penis steif, beginnend an der Narbe, die sich mittig am Schaft befindet. Man nennt das Lymphödem. Einige Male war es sehr schmerzhaft und blieb stundenlang geschwollen. Ich habe kein Frenulum mehr, an der Unterseite meiner Eichel gibt es nur Narbengewebe. Dort habe ich keinerlei Gefühl. Wenn ich meine Eichel nicht mit Hilfsmitteln anfeuchte, empfinde ich bei Berührungen am Penis praktisch keinerlei Stimulanz mehr. Vor knapp einem Jahr begann ich, meine Vorhaut zu restaurieren, habe es aber aufgrund meines sehr aktiven Lebensstils nicht regelmäßig getan. Ich radle sehr viel und tue andere Dinge, die Beweglichkeit erfordern. Ich glaube, dass in näherer Zukunft genug Haut nachgewachsen sein wird, um den Apparat auch bei diesen Aktivitäten zu tragen. Zur Zeit trage ich ihn nur 1-3 Stunden am Tag, versuche aber, es mir mehr zur Gewohnheit zu machen. Ein positives Ergebnis bis jetzt ist, dass meine Schafthaut etwas beweglicher ist. Es bringt mir auch psychologische Vorteile, mir selber zu helfen gibt mir viel Kraft.


Martin Wolper, 39

Ich bin in den 70ern geboren, mein älterer Bruder war bereits wegen sogenannter Phimose beschnitten worden, und ich kann mich erinnern, dass es seit ich denken kann hieß, ich hätte ebenfalls eine Vorhautverengung und wenn ich zur Schule käme, müsste "das gemacht werden". Meine Eltern glaubten dies wirklich im Bewusstsein, das beste für mich zu tun. Schließlich wurden damals schon im Untersuchungsheft für Kinder bei 2-Jährigen Phimosen diagnostiziert! In einem Alter also, wo dieser Zustand anatomisch völlig normal wäre.

Ich habe die Untersuchungen an meiner Vorhaut als sehr unangenehm und schmerzhaft in Erinnerung, ich erinnere auch, mich bis zum Vorschulalter dagegen gewehrt zu haben. Dann hatte ich den Erklärungen meiner Eltern Glauben geschenkt, es sei eben nötig und auch alles völlig problemlos.

Ein mit meinen Eltern befreundeter Chirurg sollte die OP ausführen.Einmal, als ich ca. 4 Jahre alt wahr, kamen er und sein Frau zu uns zum Abendessen und nachher vorm Schlafengehen sollte "Onkel X mich noch untersuchen": Ich weiß noch ganz genau, wie ich beim essen ganz hibbelig war, weil ich das nicht wollte. Nachher kamen alle, meine Eltern, "Onkel X" und sein Frau und mein Bruder, der von ihm ja schon beschnitten worden war, in mein Kinderzimmer. Ich lag schon im Bett und strampelte und wehrte mich, man hielt meine Beine fest, zog mir die Pyjamahose runter und ich schrie und erinnere mich genau an diesen Schmerz, wenn die enge Vorhaut mit Gewalt zurückgezogen wurde bzw. das versucht wurde, denn man konnte nur eine winzige Öffnung sehen, mein Bruder lachte dabei und alle anderen Zuschauenden sagten, es sei doch nicht so schlimm und gleich vorbei. Und das Urteil wurde auch gleich verkündet: Wenn ich zur Schule käme, würde "es gemacht".

Auch bei der Vorschuluntersuchung und der Schuluntersuchung in der 1. Klasse erinnere ich mich noch genau, wie ich vor der Schulärztin stand, sie mir die Unterhose vorne herunterzog und sogleich versuchte, meine Vorhaut zurückzuziehen, was selbst im schlaffen Zustand unmöglich war und stark schmerzte. Dann sagte sie, dies müsse "schleunigst operiert werden". In der 1. Klasse fand diese Untersuchung vor den Augen der Klassenlehrerin statt. Es bleibt also die Feststellung, dass die Schulmedizin zu der Zeit aber auch wirklich keine Gelegenheit ausließ, um Jungen völlig überflüssigen und im Falle von häufig anzutreffenden Verengungen schmerzhaften Untersuchungen an ihrem Penis auszuliefern – mit dem erklärten Ziel, dass im Grundschulalter allen noch bestehenden Phimosen durch komplette Vorhautamputationen beizukommen sei. Anders ist dieses permanent wiederholte „Durchsieben“ der Schulklassen nicht zu erklären.

Ich selbst hatte übrigens, solange ich noch über einen intakten Penis verfügte, also bis zum Alter von knapp sieben Jahren, niemals das Bedürfnis, meine enge Vorhaut zurückzuziehen. Dies war stets nur das besondere Interesse der Ärzte. Nie kamen bei mir Entzündungen vor. Unangenehm war einzig das Balloniren der Vorhaut beim Urinieren, was auch als dringendes Indiz für eine bald zu erfordernde Vorhautamputation betrachtet wurde. Welch lächerliche Einschätzung! Heute als fast Vierzigjähriger erdehne ich mir mit handelsüblichen Apparaten eine neue Vorhaut und gewinne pro Monat fast einen halben Zentimeter. Und für einen ungehinderten Harnstrahl wären nur wenige Millimeter mehr Vorhauteröffnung erforderlich gewesen – wie leicht hätte man mir da mit einfachsten Mitteln der vorsichtigen Dehnung helfen können – ohne meine ansonsten weder vernarbte noch entzündete Vorhaut zu opfern!

Obwohl meine Eltern offen über meine Phimose sprachen (auch gegenüber dritten, was mir immer sehr unangenehm war), klärten sie mich nie wirklich darüber auf, wie eine Vorhaut eigentlich funktionieren müsste. Auch mein Vater, der zu dem Zeitpunkt noch unbeschnitten war, zeigte mir nie an seinem Penis seine Vorhaut und wie mein Glied nach einer Beschneidung aussehen würde. Ich erinnere mich nur, dass meine Mutter einmal sagte, man könne auch nur einen Einschnitt an der Vorhaut vornehmen, aber dann "hinge sie wie ein Lappen" und da sei ein Wegschneiden besser und das hätten auch viele andere Jungs. Eine Therapie mit Salbe wurde bei mir nie versucht, es wurde eher darüber gelächelt, dass manche Leute meinten, man könne mit Dehnen eine Phimose beheben. Auch der mit meinen Eltern befreundete Arzt, der die Operation dann tatsächlich vornahm, als ich sechs Jahre alt war und mich auch mehrfach "untersucht" hatte (d.h. er hatte versucht, mir die Vorhaut mit Gewalt zurückzuschieben) war nicht Manns genug, mir z.B. an seinem eigenen Penis zu demonstrieren, wie eine Vorhaut zurückzuschieben ist und vor allem, wie ich meinen Penis nach der Operation vorfinden würde. Also erinnere ich mich noch genau an den Moment, wo ich anschließend das erste Mal meinen Penis sah, zutiefst erschrocken über die blutrote nackte Eichel, der Arzt sagte aber gleich, alles sei bestens gelaufen und ich müsse mir keine Sorgen machen.

Niemand hatte mir vorher gesagt, dass mein Penis optisch für immer verändert sein und nie mehr in seiner eigentlichen intendierten Form erlebbar sein würde.

In den Jahren danach habe ich unter meinem Beschnitten-sein eigentlich nicht gelitten, es gab ja dank der unnachgiebigen Suche der Ärzte noch einige andere Jungs in meiner Klasse, die mein Schicksal teilen mussten. Auch in der Pubertät änderte sich daran nichts und ich erlebte durchaus schönen Sex mit Freundinnen.

In den 20ern änderte sich dies. Immer mehr wurde mir mein Anderssein bewusst, ich fühlte mich meines kompletten Gliedes beraubt und der Erfahrung, wie es sich mit einer zurück schiebbaren Vorhaut anfühlte. Mich interessierte auch zunehmend, andere unbeschnittene Männer zu beobachten. Der Gedanke an einen schlaffen unbeschnittenen Penis mit üppiger Vorhaut und besonders deren Bewegung begann mich stark sexuell zu erregen. Also das zu sehen und zu fühlen, was ich selbst nicht hatte, niemals erleben durfte und mir doch so sehr wünschte.

Ich beneidete zunehmend unbeschnittene Männer um ihr ungetrübtes Verhältnis zu ihrem Penis, verbunden mit einem Sich-unterlegen-fühlen. Das hemmt mich auch zunehmend gegenüber Frauen, obwohl ich weiß, dass Frauen in der Regel nichts gegen beschnittene Penisse haben.

Drei Entscheidungen haben mir außerordentlich geholfen:

  1. das Ausleben des durch die als Kind erlebte Fixierung der Erwachsenen auf meine enge Vorhaut ausgelösten Vorhaut-"Fetischs". Ich habe ihn schließlich als eine Form von Bisexualität akzeptiert und gelernt sie zu genießen – mich an dem, was ich selbst so sehr vermisse, bei anderen zu erfreuen. Ob die Faszination daran nachlässt, wenn ich in einigen Jahren hoffentlich wieder eine "neue" Vorhaut habe, wird sich zeigen.
  2. Der Beginn des Vorhaut-Restorings. Endlich spüre ich wieder, Herr über meinen Körper zu werden und aus dieser Passivität herauszutreten, dass da etwas mit mir geschehen ist. Die Folgen dieser Maßnahme sind eine in dem Maße unerwartete und nicht für möglich gehaltene Resensibilisierung der Eichel und des Restes der inneren Vorhaut. Dies beweist mir nun auch in eigener Erfahrung, WIEVIEL die Vorhautamputation an sexueller Empfindsamkeit zerstört, z.T. für immer, z.T. aber auch tatsächlich zurückholbar.
    Niemand hat das Recht, so etwas an anderen zu tun.
    JEDER Betroffene ist BETROFFEN, unabhängig davon, ob er sich darüber im Klaren, glücklich oder unglücklich ist. Ich war mir selbst 25 Jahre lang dessen nicht bewusst und doch die gesamte Zeit in meinem sexuellen Erleben stark limitiert.
    Ich möchte jedem Mann Mut machen, sich auf die Suche dieser verlorenen Sensibilität zu machen. Sie gehört (zu) uns!
  3. Das Outing meiner Beschneidungserfahrung im Rahmen der Diskussion um die inzwischen erfolgte völlige Legalisierung der Zwangsbeschneidung aus jeglichem Grund. Die Befürworter haben mich mit ihren unfassbaren Äußerungen derart provoziert und verletzt, dass ich gar nicht anders konnte, als mich öffentlich zu äußern und mich zu engagieren.

Abschließend möchte ich sagen, dass ich sehr froh bin, dass es heutzutage ja wohl einigermaßen Usus ist, Phimosen erst mal mit Salbentherapie zu behandeln, und somit den Jungs eine Beschneidung häufiger erspart bleibt. Mir wäre sie heute vielleicht auch erspart geblieben... jedenfalls zeigt mein Beispiel, dass man im Grundschulalter einfach zu jung ist, um Spätfolgen einen solchen irreversiblen Eingriffs zu verstehen und selbst bei im Prinzip verständnisvollen Begleitung meiner Eltern Gefühle von Machtlosigkeit und Ausgeliefertsein bleiben.


Jonathon Conte, 31, San Francisco

Als Kind wuchs ich auf in dem Glauben, mein Körper wäre vollständig. Ich wuchs auf in der Annahme, dass mein Penis aussah und funktionierte wie jeder andere. Ich wuchs auf und dachte, die Narbe an meinem Genital wäre ein natürlicher Teil meines Körpers, und dass jeder Mann sie hätte. Ich wuchs auf und meinte, dass das Wund scheuern durch meine Kleidung und durch das Masturbieren normale Bestandteile des Mann-seins wären. Ich habe nie hinterfragt, warum mir so viele Sorten Unterwäsche solche Schmerzen bereiteten, ich wunderte mich nur wie irgend jemand es fertigbrachte, sie zu tragen.

Ich war ungefähr 14 Jahre alt, als ich erfuhr, dass ein Teil meines Penis abgeschnitten worden war. Man sollte meinen, das würde einem schon viel früher im Leben auffallen, mir jedoch nicht. Mir wurde nie etwas über die normale männliche Anatomie beigebracht, und niemand hatte mit je gesagt, dass ich als Säugling an den Genitalien operiert worden war. Als ich die schreckliche Wahrheit erfuhr, hatte ich Steine im Magen, und es schnürte mir die Kehle zu.

Es war nicht einfach für mich, die Realität zu akzeptieren. Obwohl ich mir bewusst war, dass ein Teil meines Körpers entfernt worden war, verdrängte ich, was das bedeutete. Ich litt unter Depressionen, besonders wenn ich meinen Penis sehen musste. Jedes Mal, wenn ich mich auszog, um zu duschen, sah ich die Narbe, und wurde an das erinnert, was mir gestohlen wurde. Jedes Mal, wenn ich Wasser ließ, wurde ich daran erinnert dass ich nie wissen würde, wie mein Körper hätte aussehen sollen, und wie mein Körper sich hätte anfühlen sollen. Ich fühlte mich misshandelt und hilflos. Ich fühlte Scham und Wut. Ich fühlte mich bestohlen und betrogen. Ich fühlte mich unvollständig und verletzt. Und doch konnte ich nichts davon in Worte fassen. Ich war gelähmt von der Scham über meinen Zustand, und der Angst, andere würden mich weder verstehen noch Mitgefühl haben.

Es bedurfte über ein Jahrzehnt des Versuchens, mit meinen Gefühlen zurecht zu kommen, bevor ich die Kraft fand, mir die Sache genauer anzusehen. Ich las über die Funktionen des intakten Penis. Ich befasste mich mit den zahlreichen physischen, physiologischen und psychologischen Problemen die durch die männliche Beschneidung entstehen, und ich fand viele von ihnen in meinem eigenen Leben wieder. Ich erfuhr, wie die Babies während der Prozedur fixiert werden, und die verschiedenen Methoden, mit denen an ihren kleinen Körpern gerissen, geklemmt, gequetscht und geschnitten wird. Ich begriff die Gier, die Arroganz und die Ignoranz, die die genitale Verstümmelung von Kindern vorantrieben.

Nun schweige ich nicht mehr. Denn ich will verhindern, das weitere Kinder die selben schmerzhaften Entdeckungen machen müssen wie ich es musste: dass man ihnen das Menschenrecht vorenthielt, den ganzen Körper zu behalten, mit dem sie geboren wurden.

(Jonathon Conte ist Events Coordinator bei Bay Area Intactivists, USA. Diese Rede, die er uns freundlicherweise zur Verfügung stellte, hielt er im Rahmen der AAP Conference in New Orleans im Oktober 2012. Übersetzt aus dem Englischen durch S.Schritt)[1]

Andreas A.

„Ich war kein richtiger Junge mehr“ - Beschneidung: Erfahrungsbericht eines Betroffenen - Oktober 2013

Die Beschneidung

Ich wurde Anfang der neunziger Jahre im Alter von etwa 8 Jahren beschnitten. Der Grund dafür war, dass sich meine Vorhaut nicht problemlos zurückziehen ließ und es beim Urinieren schmerzte. Also fuhren meine Eltern zusammen mit mir und auch meiner Schwester zum Urologen. Dort wurde ich auf eine Liege gelegt und der Arzt untersuchte mich, während meine Familie daneben stand und zusah. Diese Situation empfand ich als peinlich und erniedrigend, aber anscheinend machte man sich keine Gedanken um meine Gefühle. Bereits nach kurzer Zeit stand das Ergebnis der Untersuchung fest: Ich müsse beschnitten werden. Meine Eltern hatten zwar bereits von der Vorhautbeschneidung gehört, wussten aber nicht, was dabei genau gemacht wird. Aber der Arzt konnte meine Eltern beruhigen, indem er sagte, es sei nur ein kleiner Schnitt und dann wäre ich die Probleme für immer los. Mehr erfuhren meine Eltern nicht. Weder wurden sie darüber aufgeklärt, welche Alternativen es zur Beschneidung gibt, noch wurde ihnen erklärt, was überhaupt alles weggeschnitten wird und welche Auswirkungen dies haben würde.

Da es keine große Sache zu sein schien, vereinbarten meine Eltern einen Termin und wir fuhren ein paar Tage später ins Krankenhaus. Dort wurde ich „nach den Regeln der ärztlichen Kunst“, also unter Vollnarkose und zusätzlicher örtlicher Betäubung radikal beschnitten, das heißt die gesamte Vorhaut wurde entfernt. Die Operation verlief wie geplant und es gab keinerlei Komplikationen. Als ich im Krankenhaus aus der Narkose aufwachte, machte ich mir noch keine Gedanken, denn es war mir ja gesagt worden, dass es nur ein kleiner Schnitt sei. Noch am selben Tag konnten wir wieder nach Hause fahren. Doch bereits auf dem Weg ließ die Betäubung nach und es kamen die Schmerzen. Es fing an fürchterlich zu brennen und bei jeder Bewegung durchzuckte mich ein stechender Schmerz. Zuhause konnte ich dann einen Blick auf das Ergebnis der Beschneidung werfen, denn ich hatte keinen Verband, sondern nur eine Art Lendenschurz aus Verbandmaterial um. Der erste Blick war ein Schock für mich, es sah einfach schrecklich aus. Die Eichel war knallrot gefärbt und darunter befand sich die geschwollene und blau angelaufene Wunde mit dunkelroten Wundrändern, die von dunkelblauen Fäden zusammengehalten wurden. Was hatte dieser „kleine Schnitt“ dort angerichtet? Darauf war ich nicht vorbereitet, weil mir niemand gesagt hatte, was alles weggeschnitten werden sollte. Auch meine Eltern waren überrascht darüber, dass so viel abgeschnitten worden war.

In den Tagen nach der Operation hatte ich starke Schmerzen. Zum einen schmerzte die noch frische Wunde und dazu kam der Schmerz, der dadurch verursacht wurde, dass die nun ungeschützte Eichel ständig am Verbandtuch rieb. Besonders schlimm war es beim Urinieren, da es fürchterlich brannte und ich es deshalb nur tröpfchenweise laufen lassen konnte. Meine Mutter rührte mir dann regelmäßig eine lauwarme Flüssigkeit an, in die ich meinen Penis tauchen musste. Ich wusste nicht für was das gut sein sollte, denn die Schmerzen linderte sie nicht. Der Geruch dieser Flüssigkeit hat sich so in mein Gedächtnis eingebrannt, dass ich mich auch heute noch gut daran erinnern kann. Während der Heilungsphase konnte ich keine Hosen anziehen und selbst das Zudecken im Bett war ohne Schmerzen nicht möglich. Allerdings war das nicht mein größtes Problem. Viel schlimmer waren für mich die psychischen Auswirkungen. Ich fühlte mich verstümmelt und unvollständig. Ich war der Meinung, kein richtiger Junge mehr zu sein, weil mir etwas vom Penis weggeschnitten wurde und ich keinen vollständigen Körper mehr hatte. Konnte man das, was übrig war überhaupt noch „Penis“ nennen? Zu einem Penis gehört doch auch die Vorhaut. Mehrfach fragte ich meine Mutter, ob es wieder nachwachsen würde, was mir weggeschnitten wurde, aber ich bekam nie eine konkrete Antwort.

In der Schule

Es dauerte mehrere Tage, bis ich wieder zur Schule gehen konnte. Meine Mitschüler fragten mich, warum ich so lange nicht in der Schule war und ob ich krank war, doch ich gab ihnen keine Antwort. Es war mir nicht einfach nur zu peinlich, sondern ich hatte solche Hemmungen, dass ich nicht einmal ein einziges Wort darüber herausbrachte. Das übernahm dann meine Lehrerin, die von meiner Beschneidung wusste. Gleich in der ersten Stunde sprach sie das Thema an. Sie erzählte den Schülern, was bei einer Beschneidung gemacht wird und sagte, dass es überhaupt nicht schlimm sei. Ich fühlte mich entblößt und verraten, doch auch hier schien sich niemand für meine Gefühle zu interessieren. Natürlich war die Absicht meiner Lehrerin gut gemeint, aber sie sorgte dafür, dass ich zwar im Mittelpunkt des Gesprächs stand, mich dabei jedoch nur als Außenseiter fühlte. Ein Außenseiter, der ich bis zum Ende der Grundschule und auch darüber hinaus blieb, denn ich fing an, mich von meinen Klassenkameraden abzuschotten. Schließlich wusste jetzt die ganze Klasse, dass man mich verstümmelt hatte und ich kein richtiger Junge mehr war. Mein ohnehin schon schwach ausgeprägtes Selbstvertrauen wurde dadurch stark beschädigt. Von nun an fühlte ich mich in der Schule unwohl und hatte häufig Bauchschmerzen. Besonders schlimm war es an Tagen, an denen wir Sportunterricht hatten. Zwar waren wir in der Umkleidekabine nie vollständig nackt und ließen immer unsere Unterhosen an, aber selbst diese Situation machte mir Angst. Es hätte schließlich sein können, dass mir jemand die Hose runterzog und man mich verspottete.

Nach der Grundschule kam ich aufs Gymnasium – es war eine reine Jungenschule. Da ich immer noch das Gefühl hatte, kein richtiger Junge zu sein, fühlte ich mich dort von Anfang an fehl am Platz. Dieser Umstand in Verbindung mit meinem geringen Selbstvertrauen sorgte dafür, dass ich kaum Freundschaften knüpfte und mich von meinen Mitschülern isolierte. Im zweiten Jahr an dieser Schule bekamen wir Schwimmunterricht. Im Schwimmbad gab es für alle Schüler nur einen großen Umkleideraum. Die anderen Jungen hatten anscheinend keine Probleme damit, sich vor den Augen der Anderen auszuziehen, und liefen dort freizügig herum. Mit einem Gefühl von Neid musste ich mir ansehen, dass sie über einen vollständigen Körper verfügten und noch hatten, was mir genommen wurde. Es gab mir das unerträgliche Gefühl, minderwertig zu sein und ich schämte mich für meinen unvollständigen Körper. Also durfte niemand meinen verstümmelten Penis sehen und herausfinden, dass ich kein richtiger Junge war. Zudem war es mir unheimlich peinlich, dass meine Eichel vollkommen entblößt war und man die wohl intimste Stelle meines Körpers sehen konnte. In beinahe panischer Angst suchte ich mir die unauffälligste Ecke und wartete mit dem Umziehen, bis die meisten Klassenkameraden fertig waren und ich mich unbeobachtet fühlte.

Eine Zeit lang funktionierte diese Taktik, doch an einem Tag sprach mich ein Klassenkamerad auf mein Verhalten an. Er erkannte, dass ich mich schämte, mich nackt zu zeigen, sprach mir Mut zu und wartete darauf, dass ich mich unter rasendem Herzklopfen vor seinen Augen umzog. Als er dann sah, dass ich beschnitten war, hörte er plötzlich auf zu sprechen und starrte mich mit einem mitleidigen Blick an. Ich drehte mich um und zog mich schnell weiter um. Es war mir total peinlich, dass er mich so sah und ich fühlte mich nicht nur körperlich entblößt. Mehr noch, ich hatte in diesem Moment die Kontrolle darüber verloren, zu bestimmen, ob jemand von meiner Beschneidung erfuhr. Ich weiß bis heute nicht, ob er es für sich behielt oder in der Klasse weitererzählte. Diese Unsicherheit sorgte dafür, dass ich meinen Mitschülern misstraute und mich sogar ein wenig von ihnen bedroht fühlte.

Die gesamte Situation an dieser Schule bereitete mir zunehmend großen Stress und ich bekam immer häufiger Kopfschmerzen. Meine Fehlzeiten nahmen zu und meine Schulnoten wurden immer schlechter. Nachdem nach mehreren Arztbesuchen keine Lösung für dieses Problem gefunden wurde, schickte man mich zum Schulpsychologen, der die Ursache für meine Probleme herausfinden sollte. Auch nach mehreren Terminen konnte ich ihm nicht von meinen wirklichen Problemen erzählen. Ich redete mit niemandem darüber und auch meine Eltern ahnten während meiner Schulzeit nichts über meine Probleme mit der Beschneidung. Irgendwann konnte ich aufgrund meiner hohen Fehlzeiten nicht mehr auf dieser Schule bleiben. Ich kam vom Gymnasium in die Hauptschule, wo sich meine Situation wieder einigermaßen besserte. Niemand wusste von meiner Verstümmelung und dass ich kein richtiger Junge mehr war. Es gab nur wenige Situationen, in denen ich aufpassen musste, dass mich niemand nackt sah oder auf andere Weise von meiner Beschneidung erfuhr. Im Religionsunterricht gab es die Situation, in der über Religionen gesprochen wurde, in denen die Jungen beschnitten werden. Mir war das Thema sehr peinlich und ich hoffte, dass es niemand bemerken würde und so herausfinden könnte, dass ich selbst beschnitten war. Ich befürchtete, der Lehrer könnte fragen, wer von uns beschnitten sei, aber das blieb zum Glück aus. Was mir allerdings auffiel war, wie harmlos und selbstverständlich das Thema dargestellt wurde. Ich hatte ganz andere Erfahrungen gemacht, aber es war mir viel zu peinlich, darüber zu sprechen. Ansonsten hatte ich während der Schulzeit Angst vor mehrtägigen Klassenfahrten, weil hier das Risiko bestand, dass mich jemand beim Duschen sah. Ich ging deshalb nur selten unter die Dusche und achtete genau darauf, dass niemand in der Nähe war. Die Angst vor dem Duschen war es auch, die mich davon abhielt, in meiner Freizeit Sport zu machen. Ebenso wäre es für mich unvorstellbar gewesen, auf öffentlichen Toiletten ans Pissoir zu gehen.

Die Entdeckung der Sexualität

Irgendwann während meiner Schulzeit fing ich mit Selbstbefriedigung an, was ohne Vorhaut nicht ganz einfach war. Zunächst versuchte ich, mit der trockenen Hand an der Eichel zu reiben, doch außer unangenehmen bis schmerzhaften Gefühlen passierte nichts weiter. Ich probierte dann verschiedene Techniken und Hilfsmittel wie beispielsweise weiche Stofftücher aus, mit denen es zwar einigermaßen funktionierte, mit denen ich mir aber auch manchmal kleinere Verletzungen, wie Hautabschürfungen an der Eichel, zuzog. Irgendwann kam ich dann auf die Idee, Shampoo als Gleitmittel zu verwenden. Das funktionierte zwar kurzzeitig ganz gut, aber auf Dauer trocknete es die Haut ziemlich stark aus, so dass feine Risse auf Oberfläche der Eichel entstanden und für einige Zeit keine schmerzfreie Selbstbefriedigung mehr möglich war. Es dauerte eine lange Zeit, bis ich passende Techniken und Gleitmittel gefunden hatte, mit denen die Selbstbefriedigung ohne größere Probleme möglich war. Besonders während der Zeit des Experimentierens wünschte ich mir immer wieder meine Vorhaut zurück. Ich wollte einfach nur ein normaler Junge sein.

Mittlerweile hatte ich die Hoffnung endgültig aufgegeben, dass meine Vorhaut wieder nachwachsen würde und so musste ich irgendwie mit meinem Zustand klarkommen. Ich wünschte mir meine Vorhaut zurück und versuchte mir oft vorzustellen, wie es sein würde, eine Vorhaut zu haben. Die Gewissheit, dass sich an meinem Zustand nichts ändern würde, verursachte ein beklemmendes Gefühl und ich fragte mich, wie ich mein ganzes Leben so ertragen sollte. In der Jugendzeitschrift „Bravo“ las ich zu dieser Zeit, dass es ganz normal ist, beschnitten zu sein und man damit auch keine Nachteile hat. Diese Aussagen kamen natürlich wie gerufen, denn es würde bedeuten, dass ich ein ganz normales Leben führen könnte und mir keine Gedanken machen müsste. Ich versuchte mir einzureden, dass nur ein kleines nutzloses Stückchen Haut entfernt wurde und dass ich eigentlich keine Probleme damit haben dürfte. Ich unterdrückte so meine Probleme, doch sehr erfolgreich war ich damit nicht. Bei jeder Gelegenheit kamen die Probleme immer wieder hoch. Es reichte schon aus, wenn zum Beispiel vom Beschneiden von Hecken oder Rechten die Rede war und sofort wurde ich wieder an meine Beschneidung und meinen unvollständigen Körper erinnert. Noch immer empfand ich Neid und ein Gefühl der Minderwertigkeit, wenn ich daran dachte, dass andere Jungen einen vollständigen Körper haben durften und ihnen nicht am intimsten Bereich ihres Körpers ein Stück weggeschnitten worden war.

In dieser Situation war es für mich noch immer kaum möglich, mein Selbstvertrauen aufzubauen. Ein paarmal nahm ich dennoch allen Mut zusammen und sprach mit einem Freund oder Mitschüler über meine Beschneidung und die Probleme, die ich damit hatte. Jedoch wurde das Thema in jedem Fall regelrecht abgewürgt, noch bevor ich überhaupt ausgesprochen hatte. Mein Problem wurde einfach nicht ernst genommen und mit Sätzen wie „Es sind doch so viele Jungs beschnitten, das ist doch ganz normal.“ oder „Es ist doch viel hygienischer und man kann beim Sex auch viel länger.“ leichtfertig abgetan.

Die erste Beziehung

Ich war bereits 18 Jahre alt, als ich meine erste Beziehung – das heißt in meinem Fall meinen ersten Freund – hatte. Davor hatte ich mich zwar nach einem liebevollen Freund gesehnt, war aber lange Zeit mit meinem Körper so unzufrieden, dass eine Beziehung für mich nicht in Frage kam. Ich hatte Angst davor, wegen meines unvollständigen Körpers zurückgewiesen zu werden und wollte auch niemandem meinen verstümmelten Penis antun. Außerdem fühlte ich mich in Gegenwart anderer Jungen immer noch minderwertig.

Dann lernte ich also meinen ersten Freund kennen. Die erste Frage, die sich mir stellte, war, wie er reagieren würde, wenn er mich das erste Mal nackt sieht. Ich konnte ja wohl mit meinem unvollständigen Körper seine Erwartungen nicht vollständig erfüllen. Außerdem hatte ich sowieso Hemmungen, mich jemandem nackt zu zeigen. Schließlich kam es dann zu ersten sexuellen Kontakten mit ihm. Wir lagen zusammen im Bett, als er plötzlich mit seiner Hand in meine Hose fuhr. Er begann die Haut an meinem Penis herumzuziehen und versuchte offensichtlich, meine nicht vorhandene Vorhaut zu bewegen. Mein Herz raste und ich fing an zu zittern, denn nun würde er herausfinden, dass ich beschnitten war. Als er dann nach kurzer Zeit tatsächlich bemerkte, dass etwas nicht stimmte, fragte er mich, ob ich beschnitten sei. Jetzt war also der Moment gekommen, an dem ich es ihm verraten musste. Nur mit Mühe brachte ich ein leises „ja“ heraus. Zu meiner großen Überraschung schien ihm das nichts auszumachen, denn er zeigte keinerlei negative Reaktionen. Allerdings wurden seine Berührungen trotzdem nicht wesentlich angenehmer, weil er einfach nicht wusste, wie er mit einem beschnittenen Penis umgehen sollte. Umgekehrt war es aber nicht anders, denn auch ich wusste nicht, wie ich mit einem unbeschnittenen Penis umzugehen hatte. Anscheinend fügte ich ihm Schmerzen zu, als ich mit meiner Hand direkt über seine Eichel rieb. Er zeigte mir dann, wie ich bei ihm die Vorhaut vor und zurück schieben musste, was für mich ein faszinierendes Gefühl war, das ich bisher nicht kannte. Eine weitere Überraschung war für mich, dass sein Penis kaum roch. Ich hatte gehört, dass es unter der Vorhaut immer feucht ist und sich deshalb schnell ein starker Geruch bildet, doch beides traf nicht zu. Obwohl es bereits viele Stunden her war, seit sich mein Freund zuletzt gewaschen hatte, war zu meiner Verwunderung kaum ein Geruch wahrnehmbar.

Sexuelle Nachteile

Weniger angenehm war es für mich, den Unterschied zwischen einem beschnittenen und einem intakten Penis zu erleben. Bisher hatte ich nur spekulieren können, wie ein intakter Penis im Detail aussieht und ich wusste nicht einmal, wie die Vorhaut funktioniert. Nun hatte ich erstmals den direkten Vergleich und ich musste eine Reihe von negativen Auswirkungen der Beschneidung bei mir feststellen. Neben dem offensichtlichen Unterschied, dass bei mir die Vorhaut fehlte, die Eichel frei lag und sich darunter nur eine dünne Narbenlinie befand, fiel mir auf den ersten Blick deutliche Farb- und Strukturunterschiede auf. Während er eine zarte, rosafarbene Vorhaut und eine purpurfarbene Eichel mit glatter Oberfläche hatte, war meine Eichel blass und hatte eher eine graubraune Färbung. Zudem war die Oberfläche nicht glatt, sondern von einer trockenen und leicht schrumpeligen Hautschicht bedeckt, eine dünne Hornhaut, die sich im Laufe der Jahre gebildet hatte, weil der Schutz der Eichel durch die Vorhaut fehlte.

Aber nicht nur beim Aussehen, sondern auch bei der Empfindsamkeit gab es deutliche Unterschiede. Im Unterschied zu meinem Freund, der sehr sensibel auf Berührungen reagierte, brauchte es bei mir schon einen festen Druck, damit ich überhaupt etwas spürte. Da mir mit dem sensiblen inneren Vorhautblatt eine erogene Zone weggeschnitten wurde und auch die Eichel wegen des fehlenden Schutzes mit der Zeit abgestumpft war, war ich hauptsächlich am Eichelrand empfindlich, wo sich noch ein paar Millimeter Vorhautrest und die Beschneidungsnarbe befand. An dieser Stelle musste mich mein Freund mit festem Druck und mit Hilfe von Gleitmittel anfassen, damit ich ausreichend stimuliert wurde. Wenn er mich jedoch nicht an der richtigen Stelle anfasste, verspürte ich kaum etwas und wenn der Griff zu fest wurde oder das Gleitmittel nicht ausreichte, wurde es schnell unangenehm und teilweise auch schmerzhaft. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich meinem Freund die richtige Technik beigebracht hatte. Er erzählte mir während dieser Zeit häufig, wie einfach es doch bei seinem intakten Ex-Freund gewesen sei und was er bei ihm alles hätte machen können, was bei mir nicht möglich war. Es ist also keineswegs so, dass nur ein kleines Stückchen Haut fehlt und die Beschneidung keinen großen Einfluss auf die Sexualität hat, wie oft behauptet wird. Bei mir hat es das Aussehen verändert, die Empfindsamkeit verringert und durch die fehlende Vorhaut auch die sexuellen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt. Ich musste feststellen, dass mein Penis nicht wie vorgesehen funktionierte und mehr denn je empfand ich meinen Körper als verstümmelt.

Nach etwa einem halben Jahr trennte sich mein Freund wieder von mir. Er erzählte mir hinterher, dass er einen beschnittenen Penis langweilig findet, was aber nicht der Grund für die Trennung sei. Das bisschen Selbstvertrauen, was ich bis dahin aufgebaut hatte, war mit einem Schlag wieder zerstört. Bei meinen Beziehungen, die ich seitdem hatte, erinnerte ich mich immer wieder daran und hatte jedes Mal erneut Angst vor dem Moment, in dem ich zugeben musste, beschnitten worden zu sein. Glücklicherweise gab es aber nur diese eine negative Reaktion meines ersten Freundes, den anderen war es relativ egal – zumindest sagten sie das so. In jeder folgenden Beziehung musste ich neu beginnen, meinen Partnern beizubringen, wie sie mit mir umgehen musste, da keiner von ihnen zuvor einen beschnittenen Freund hatte. Es dauerte immer eine längere Zeit, bis es reibungslos funktionierte. Solange musste ich eben selbst Hand anlegen, um zum Orgasmus zu kommen, was nicht nur für mich, sondern auch für meine Partner unbefriedigend war. Dazu kam, dass besonders die Notwendigkeit von Gleitmittel meist als störend, unangenehm oder sogar ekelhaft empfunden wurde. Insgesamt war es so kaum möglich, eine natürliche und unbeschwerte Sexualität zu genießen. Einzige Ausnahme war an dieser Stelle ein Sexualpartner, der ebenfalls beschnitten war. Er kannte sich bereits aus, aber auch in diesem Fall war der Sex für mich unbefriedigend. Mir war bereits klar, dass ich einen beschnittenen Penis unattraktiv finde, weil er auf mich einfach verstümmelt wirkt und ich damit eine Menge negativer Assoziationen verknüpfe. Diese Gefühle irrten beim Sex die ganze Zeit in meinem Kopf herum, so dass einfach nichts mehr funktionierte. Bei einem intakten Sexualpartner empfinde ich zwar auch negative Gefühle wie Trauer um den eigenen Verlust und Neid, aber diese Gefühle lassen sich wesentlich besser ausblenden.

Die Beschneidungsdebatte

Seit einigen Jahren habe ich einen festen Freund, der mit meiner Beschneidung ganz gut klar kommt und so konnte ich das Thema in dieser Zeit recht gut unterdrücken. Ich kam nur selten in depressive Phasen, die ich früher viel häufiger hatte. Doch mit der Beschneidungsdebatte im Jahr 2012 änderte sich das wieder. Das Gerichtsurteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung als Körperverletzung wertete, kam für mich sehr überraschend, weil es für mich keine Frage war, dass es sich um eine Körperverletzung handelt. Es wird schließlich ein sinnvolles Körperteil entfernt, was zu einer Reihe von negativen Folgen führt, wie ich es am eigenen Körper erleben musste. Was die Debatte für mich so belastend machte, waren die Zeitungsartikel und Kommentare, in denen die Beschneidung auf beinahe unerträgliche Weise verharmlost wurde. Es war erschreckend für mich festzustellen, wie wenig die Leute über die Auswirkungen der Beschneidung wussten. Die Beschneidung wurde teilweise als harmloser Eingriff dargestellt, der mit Impfen oder Haareschneiden vergleichbar sei.

Die Beschneidungsdebatte und besonders die verharmlosenden Kommentare sorgten bei mir dafür, dass die Erinnerungen an meine Beschneidung wieder schmerzhaft zum Vorschein kamen. Ich war gezwungen, mich erneut damit auseinander zu setzen. Mir wurde bewusst, wie stark die Beschneidung mein bisheriges Leben beeinflusst hatte. Die Auswirkungen meiner Beschneidung machen sich auch jetzt noch, 20 Jahre später, bemerkbar. Es hinterlässt deutliche Spuren, wenn man mit dem Gefühl aufwächst, kein richtiger Junge zu sein und sich dadurch jahrelang minderwertig fühlt. Noch immer habe ich ein geringes Selbstvertrauen, was mich in meinem Leben in vielerlei Hinsicht einschränkt. Gerade im Berufsleben ist das noch ein großes Problem für mich. Ich bin unzufrieden mit meinem Körper und den körperlichen Nachteilen der Beschneidung. Auch die immer weiter fortschreitende Desensibilisierung macht sich bemerkbar. Mittlerweile muss ich beim Sex aktiv und konzentriert auf den Orgasmus hinarbeiten und kann es nicht einfach entspannt genießen. Nicht selten sind diese Bemühungen umsonst.

Auch heute noch werde ich täglich an meine Beschneidung erinnert. Das geht so weit, dass bereits jeder Gang zur Toilette und der Anblick meines beschnittenen Penis an meiner Stimmung nagt. Irgendwann ist das Maß voll und ich komme wieder regelmäßig in depressive Phasen. Mein Freund sagt mir in solchen Momenten, dass es so nicht weitergehen kann und ich denke er hat Recht. Zurzeit informiere ich mich über Psychotherapien und hoffe, dass ich damit zumindest einen Teil meiner Probleme in den Griff bekomme.

Seit der Beschneidungsdebatte kann ich jedoch auch offener mit meiner Beschneidung umgehen. Während ich sie 20 Jahre lang verheimlicht habe, kann ich mittlerweile darüber reden. Ich habe angefangen, mit Freunden und Kollegen über die Beschneidung und auch meine persönlichen Probleme damit zu sprechen. Dabei stelle ich oft fest, dass meine Gesprächspartner nur wenig über das Thema wissen und dass Fehlinformationen noch immer weit verbreitet sind. Aber immerhin werden meine Probleme jetzt einigermaßen ernst genommen und nicht wie früher direkt abgeschmettert. Ich konnte auch mit Betroffenen, mich mit ihnen über das Internet austauschen oder einfach nur von ihren Erfahrungen lesen. Mir wurde bewusst, dass noch viele andere Männer solche Probleme haben und sich diese stellenweise erstaunlich ähnlich sind.

Das Gespräch mit den Eltern

Nachdem ich mit vielen Leuten darüber gesprochen hatte, sprach ich auch zum ersten Mal meine Eltern auf meine Beschneidung an. Sie wussten überhaupt nicht, dass ich damit solche Probleme hatte und auch immer noch habe. Sie führten meine Probleme in der Schulzeit nicht darauf zurück und da ich zuvor nie mit ihnen darüber gesprochen hatte, dachten sie, es sei für mich in Ordnung, beschnitten worden zu sein. Ich habe ihnen auch von den körperlichen und psychischen Problemen erzählt, die ich seitdem habe, aber ich habe nicht das Gefühl, dass sie den vollen Umfang meiner Probleme begreifen. Besonders mein Vater scheint meine Probleme nicht nachvollziehen zu können. Meine Eltern können sich nicht vorstellen, welche Folgen ihre Entscheidung für mein Leben hatte. Sie haben damit in einer Weise über mein heutiges Leben bestimmt, wie es ihnen nicht zusteht. Sie haben über meine heutige körperliche und psychische Verfassung bestimmt. Zudem haben sie tief in meine sexuelle Selbstbestimmung eingegriffen, indem sie dafür gesorgt haben, dass ich keine normale Sexualität erfahren kann. Obwohl ich davon ausgehe, dass meine Eltern nur das Beste für mich wollten und sich nicht anders hätten entscheiden können, weil der Arzt sie nicht richtig aufgeklärt hatte, sehe ich das Verhältnis zu meinen Eltern als belastet an.

Ich ließ mir von meinen Eltern auch ganz genau von den Problemen, die ich damals hatte, berichten. Bisher ging ich davon aus, dass ich eine Vorhautverengung (Phimose) hatte und deshalb beschnitten wurde, wobei selbst eine Phimose nur in den seltensten Fällen eine radikale Beschneidung erfordert. Aber was meine Eltern mir erzählten, hörte sich nicht nach einer Phimose an. Es schien eher so zu sein, dass sich bei mir die Vorhaut, die im Kindesalter noch mit der Eichel verwachsen ist, einfach noch nicht richtig abgelöst hatte und der Ablösevorgang nicht vollkommen reibungslos verlief. Wenn das zutrifft, wäre meine Beschneidung kaum zu rechtfertigen, denn es handelt sich dabei um einen ganz gewöhnlichen Vorgang. Heute weiß ich, dass der überwiegende Teil der medizinisch begründeten Beschneidungen unnötig ist, weil es andere vielversprechende Maßnahmen wie eine Salbentherapie und vorhauterhaltende Eingriffe gibt oder weil sich das Problem in vielen Fällen mit der Zeit von selbst erledigt. Wenn ich all das zusammen betrachte, muss ich davon ausgehen, dass bei mir keine zwingende Notwendigkeit für eine Beschneidung bestand. Dass ich dennoch beschnitten wurde und jetzt mit den Nachteilen leben muss, ist umso deprimierender. Ich hätte mir gewünscht, dass meine Eltern sich besser informiert und mehr Geduld mit meinen damaligen Problemen gehabt hätten.

Neue Wege

Vor etwa einem halben Jahr habe ich mit einer manuellen Vorhautrekonstruktion begonnen. Dabei wird die Schafthaut gedehnt und mit der Zeit bildet sich an den unter Zug stehenden Stellen die Haut nach. Zwar lässt sich damit nicht das empfindsame Gewebe der Vorhaut wiederherstellen, aber zum einen lässt sich damit ein fast normales Erscheinungsbild herstellen und zum anderen schützt die so erzeugte Haut die Eichel, die sich dann wieder ein Stück weit regenerieren kann. In den Dehnpausen sorge ich mit einem Gummiaufsatz dafür, dass die Eichel rund um die Uhr vor Reibung geschützt ist. Nachts trage ich zusätzlich eine hornhautlösende Feuchtigkeitscreme auf. Diese Behandlung zeigt bereits erste Wirkung. Die Farbe der Eichel ist dabei, sich zu normalisieren und auch die Empfindsamkeit hat sich ein wenig erhöht. Insgesamt wird es mehrere Jahre dauern, bis genug Haut erzeugt wurde, um die Eichel zu bedecken. Es wird zwar nie so sein wie mit einer echten Vorhaut mit all ihrer Funktionen, aber ich kann zumindest die körperlichen Auswirkungen meiner Beschneidung ein wenig abmildern. Bisher ist die Haut schon ein wenig lockerer geworden, so dass sie bei Erektionen weniger spannt. Es ist nicht viel, aber schon solche kleinen Fortschritte helfen mir sehr, mein Selbstvertrauen weiter aufzubauen.

Ein weiterer Versuch, mein Selbstvertrauen aufzubauen besteht darin, Sport zu machen, um mich wieder wohler in meinem Körper zu fühlen. Bisher habe ich in meinem Leben so gut wie keinen Sport gemacht und mich nur wenig um meinen Körper gekümmert, weil es für mich einfach keinen Sinn machte. Schließlich war er verstümmelt worden und würde es für immer bleiben. Mittlerweile bin ich aber der Ansicht, dass ich damit Fortschritte erzielen kann. Eine sportlichere Figur in Verbindung mit einer zumindest optisch rekonstruierten Vorhaut wird sicher sowohl mein Wohlbefinden als auch mein Selbstvertrauen stärken. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen. Gleich beim ersten Termin habe ich mich zudem gezwungen, mich meinen größten Ängsten zu stellen und dort duschen zu gehen. Für mich war es eine große Herausforderung, mich in einem Raum auszuziehen, in dem sich andere Männer befinden. Meine Beine zitterten dermaßen, dass mir alleine das Ausziehen Schwierigkeiten bereitete. Ich fühlte mich wieder wie im Schwimmunterricht in der Schule, aber ich gewöhnte mich bereits nach kurzer Zeit an diese Situation. Ich ging duschen, trocknete mich ab und zog mich wieder an – es war geschafft und niemand hatte sich darum gekümmert, dass ich beschnitten bin. Es war ein tolles Gefühl, diese Situation, vor der ich immer Angst hatte, als Normalität zu erleben.

Inzwischen ist mehr als ein Jahr seit dem Kölner Gerichtsurteil vergangen und wir haben ein Gesetz, das es Eltern erlaubt, ihre Söhne beschneiden zu lassen, einfach nur weil sie es wollen. In einer Gesellschaft, die nur wenig über die weitreichenden Folgen der Beschneidung aufgeklärt ist, wird dieses Gesetz eine Menge Leid verursachen. Viele Menschen in Deutschland stehen unnötigen Beschneidungen zwar bereits kritisch gegenüber, aber das Verständnis für das gesamte Ausmaß des Problems scheint dennoch kaum verbreitet zu sein. Noch immer werden die gängigen Fehlinformationen verbreitet, teilweise selbst von kritisch eingestellten Personen. Zurzeit bin ich daran beteiligt, einen Verein zu gründen, der sich für die genitale Selbstbestimmung von Kindern und besonders auch von Jungen einsetzt. Ich möchte dort mit den Erfahrungen meiner Beschneidung dazu beitragen, dass das Leid vieler beschnittener Männer in der Gesellschaft erkannt wird und unnötige Beschneidungen der Vergangenheit angehören.

Siehe auch

Einzelnachweise