Alternativer Gesetzesänderung-Entwurf von Ulf Dunkel zum § 1631 BGB: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 15. April 2015, 08:19 Uhr

Ulf Dunkel schrieb im Oktober 2012 einen alternativen Gesetzesänderung-Entwurf zum § 1631 BGB, der bisher der weitestgehende bekannte Entwurf ist, weil er körperliche Eingriffe ohne medizinische Indikation bei Minderjährigen generell für unzulässig erklärt.

Diesen Entwurf brachte er als Dringlichkeitsantrag zur 34. Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) von Bündnis 90/Die Grünen, der im November 2012 in Hannover stattfand, ein. Der Antrag wurde, wie sämtliche anderen Anträge zum Thema Beschneidung, auf der BDK an eine "religionspolitische Kommission" verwiesen.

Wortlaut des Entwurfs

Die Beschneidungsdebatte ist seit dem Kölner Urteil vom Mai 2012 neu entbrannt, und das nicht nur in Deutschland. Obwohl die Bundesregierung längst hoffte, für Ruhe und "Rechtsfrieden" zu sorgen, indem sie ein Sondergesetz entwirft, das die religiöse Beschneidung von Jungen straffrei stellt, erlischt das Feuer der Debatte nicht mehr.

Überall wird darüber diskutiert. Im Ausland warten viele Menschen auf eine klare Entscheidung für oder gegen das Recht auf Beschneidung von Minderjährigen. Allerdings werden, nachdem anfänglich nur die lauten und sehr markigen Stimmen der orthodoxen Religionssprecher zu hören waren, mittlerweile auch die Stimmen derjenigen deutlicher vernehmbar, die generell dagegen sind, es ihren Kindern auch aus einem religiösen "Zwang" heraus nicht mehr antun wollen oder die als selbst Betroffene unter ihrer Beschneidung gelitten haben oder bis heute leiden.

Die Bundesregierung Deutschlands hatte das Bundesjustizministerium beauftragt, rasch zu überlegen, in welchem rechtlichen Kontext man einen Gesetzesentwurf verankern müsste und wie er aussehen könnte. Der Entwurf liegt seit ein paar Wochen vor und wurde – nochmals etwas schwammiger umformuliert – mittlerweile vom Regierungskabinett (Schwarz-Gelb) verabschiedet. Er soll jetzt seinen üblichen Weg durch die Instanzen gehen, bis ihn Bundestag und Bundesrat dann – möglichst schnell und ohne große Diskussionen oder gar Aufklärung in der Sache – durchgewunken haben. "Damit endlich wieder Rechtsfrieden herrscht."

Die Vorgabe der Regierung ist klipp und klar: "Eine gesetzliche Regelung, die die Beschneidung auch aus religiösen Gründen ermöglichen soll, muss so konstruiert sein, dass dieses Ziel zweifelsfrei erreicht wird." So nachzulesen auch in einem Bundesratspapier, das den Gesetzesentwurf pe se kritisch sieht:

Es soll also ein Ergänzungsgesetz zum § 1631 BGB geben, der sich mit “Inhalt und Grenzen der Personensorge” beschäftigt. § 1631 enthält momentan vier Abschnitte:


§ 1631 Inhalt und Grenzen der Personensorge

§ 1631 a) Ausbildung und Beruf

§ 1631 b) Mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung

§ 1631 c) Verbot der Sterilisation


Hierzu soll es einen ergänzenden Abschnitt § 1631 d geben, mit dem Titel "Beschneidung des männlichen Kindes".

Das "Beschneidungsgesetz", wie es mittlerweile allerorten genannt wird, ist faktisch ein "Sondergesetz für Juden", da es in seinem zweiten Absatz klar auf die Beschneidung von Säuglingen abzielt. Muslimische Religionsvertreter haben sich schon beschwert über diesen Absatz, weil er sie nicht gleichbehandeln würde.

Ich behaupte, dass diese Gesetzesänderung ein Rollback in der Geschichte der Menschenrechte wäre und dem Kindeswohl absolut schadet. Dazu ist es wichtig, sich die Entwicklung des § 1631 in seiner Geschichte genauer anzusehen. Seine älteste Fassung stammt vom Ende des 19. Jahrhunderts.

Damals sah er so aus:

01.01.1900:

§ 1631

(1) Die Sorge für die Person des Kindes umfaßt das Recht und die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

(2) [1] Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. [2] Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen.

Ich habe Absatz 2 Satz 1 hervorgehoben, weil er den Zeitgeist der Kaiserzeit widerspiegelte. Kinder waren Rechtsobjekte und Eigentum des Vaters (über die Rechte von Müttern und Frauen zu der Zeit sind anderswo Worte zu verlieren!). Selbst das Vormundschaftsgericht konnte züchtigen.


Erst achtundfünfzig Jahre später (!) ist der Zuchtmittel-Passus ersatzlos gestrichen worden:

01.07.1958:

§ 1631

(1) Die Sorge für die Person des Kindes umfaßt das Recht und die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

(2) Das Vormundschaftsgericht hat die Eltern auf Antrag bei der Erziehung des Kindes durch geeignete Maßregeln zu unterstützen.

Das war damals ultramodern, zu einer Zeit, als Frauen zwar immerhin schon wählen, aber noch kein eigenes Konto haben und ihren Beruf nicht selbständig wählen durften, als Vergewaltigung in der Ehe noch lange nicht strafbar war usw.


1980 wurde der Erfolg von 1958, den Zuchtmittel-Passus gestrichen zu haben, nochmals verstärkt:

01.01.1980:

§ 1631

(1) Die Personensorge umfaßt insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

(2) Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig.

(3) Das Vormundschaftsgericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.

Das Kind bekam in Deutschland erst 1980 eine eigene Würde, wow!


Achtzehn Jahre später (allerdings noch unter Schwarz-Gelb) wurde der 2. Abschnitt nochmals genauer spezifiziert, um Auswüchsen vorzubeugen:

01.07.1998:

§ 1631

(1) Die Personensorge umfaßt insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

(2) Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Mißhandlungen, sind unzulässig.

(3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.

Das Kind hat jetzt schon einen vom Gesetz wahrgenommenen Körper und eine Seele. Respekt, es geht voran!


Nachdem Rot-Grün 2000 das Recht der Kinder auf insgesamt gewaltfreie Erziehung eingeführt hat, sah er so aus:

08.11.2000, 01.01.2002:

§ 1631

(1) Die Personensorge umfaßt insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

(2) [1] Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. [2] Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

(3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.


Das ist Stand der Dinge: Kinder sind endlich Rechtssubjekte, haben endlich eigene Rechte. Auch die Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention ein paar Jahre vorher (1990, 1992) spiegelt sich in dieser Änderung von 2000 wider.


Momentan allerdings ist in der Debatte vorgesehen, einen Rollback in alte Zeiten vorzunehmen, eigentlich bis in das Jahr 1900 zurück, weil dem Erziehungsrecht wieder Macht über den Körper des Kindes gegeben werden soll.

Diesen Rollback gilt es mit allen Mitteln zu verhindern, wenn wir nicht unsere Entwicklung als säkulare, aufgeklärte, an den Menschenrechten orientierte demokratische Gesellschaft aufs Spiel setzen wollen. (“Wehret den Anfängen!”)

Der BGB-Paragraph 1631 “Inhalt und Grenzen der Personensorge” soll nach dem Willen des von lautstarken Argumenten orthodoxer Religionssprecher eingeschüchterten Parlaments zwar so bleiben wie er ist, allerdings eine brisante Ergänzung § 1631 d erhalten, die wie folgt lauten soll:

Kabinettsbeschluss Entwurf:

§ 1631d Beschneidung des männlichen Kindes

(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.

(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.

Man sieht schon formal, dass dieser Kabinettsbeschluss sich als Flickwerk überhaupt nicht in die Entwicklung des Paragraphen einfügt und ihn komplett aushebelt und damit lächerlich macht. Zudem ist Absatz 2 eben genau das "Sondergesetz für Juden", das wohl niemand gutheißen kann.

(Interessanter Nebenaspekt des Kabinettsbeschlusses: Im BMJ-Entwurf stand noch "… wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird." – Die Änderung macht selbst die Anforderung "lege artis" zu einem Gummiparagraphen!)

Nimmt man hinzu, dass schon oftmals in der Geschichte bis heute durch stümperhafte Beschneidungen die Jungen später als Erwachsene nicht mehr zeugungsfähig waren, kommt das Beschneidungsgesetz fast schon direkt in Konflikt mit § 1631 c) “Verbot der Sterilisation”. Der ganze bisher gültige § 1631 atmet den Geist des verantwortungsvollen Umgangs mit dem Kind zu seinem körperlichen, geistigen und seelischen Wohl, wird aber durch den aktuellen Ergänzungsentwurf § 1631 d mit Füßen getreten.

Mein Gegenvorschlag wäre, § 1631 Absatz (2) wie immer schon in seiner Entwicklung nochmals klarer zu formulieren, um eben abermals Auswüchse einzudämmen:

2012 Gegenentwurf zum Kabinettsbeschluss: § 1631

(1) Die Personensorge umfaßt insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

(2) [1] Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. [2] Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. [3] Körperliche Eingriffe ohne medizinische Indikation sind unzulässig.

(3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.

Das wär’s.

Damit wären Beschneidungen Minderjähriger ohne medizinische Indikation, aber auch Ohrlochstechen, Piercings usw. nicht mehr erlaubt. Die “Ahndung” müsste sich gegen die “Auftraggeber”, also in der Regel die Eltern, sowie gegen die “Täter”, also Beschneider, Piercing-Studios, Schmuckläden, usw., richten. Es wären keine besonderen Strafregeln neu zu erfinden, weil das alles im StGB schon vorhanden ist.

Diese Erweiterung des § 1631 (2) wäre ein weiterer Schritt zu mehr Kinderrechten in deutschen Gesetzen, während der Kabinettsbeschluss Kinder wieder zu Rechtsobjekten machen will, auf dem Stand des vorletzten Jahrhunderts.

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