Christoph Kupferschmid

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Dr. Christoph Kupferschmid ist ein Kinder- und Jugendarzt, der beim WWDOGA 2014, 2016, 2017 und 2020 Reden hielt, als Vertreter vom BVKJ.

Beim Wissenschaftlichen Symposium am Tag vor dem WWDOGA 2014 hielt er einen Vortrag zum Thema: "Prävalenz von Komplikationen bei Vorhautentfernungen"[1].

Inhaltsverzeichnis

Rede vom WWDOGA 2016

Transskript seiner Rede vom WWDOGA 2016 (mit Dank an Stefan Schritt):

"Schönen Dank für die Einladung, dass ich heute zu Ihnen sprechen kann. Sehen Sie mir nach, dass ich das nicht so frei machen kann, sondern doch ein bisschen meine Noten brauche zum Singen.

Ich spreche zu Ihnen als Kinder- und Jugendarzt, als Repräsentant des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland, der seinen Sitz hier in Köln hat und der fast alle niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte und einen ganz großen Teil der Kinder- und Jugendärzte die in den Kliniken arbeiten vertritt. Alle Kinder- und Jugendärztlichen Fachgesellschaften in Deutschland lehnen Beschneidungen bei kleinen Jungen ab, wenn für diese Operation keine wichtige medizinische Indikation, wenn keine wichtigen medizinischen Gründe dafür bestehen. Die große Mehrheit der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland ist anderer Meinung als die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Eltern sollen nicht ohne zwingende medizinische Gründe darüber entscheiden dürfen, ob ihre Söhne beschnitten werden oder nicht.

Die Beschneidung ist eine Verletzung des Körpers der Kinder, die nicht wieder rückgängig gemacht werden kann. Es bleibt eben nicht nur eine kleine Narbe wie nach einer Operation; nach der Beschneidung fehlt dem Jungen etwas. Es fehlt Schutz, es fehlt Empfindsamkeit an seinem Penis. Aber nicht nur der Körper wird verletzt, sondern auch die Seele des Kindes wird durch die Beschneidung verletzt. An intimster, an sensibelster Stelle werden ihm Schmerzen zugeführt, die über Tage anhalten. Die Erwachsenen bestimmen das so, sie halten ihn fest, sie machen ihn willenlos, er muss es über sich ergehen lassen, er versteht es nicht, und es tut noch so lange so weh.

Wir Kinder- und Jugendärzte sind überzeugt, dass die Menschenrechte an oberster Stelle unserer Werteskala stehen. Kinderrechte sind Menschenrechte. Das Recht eines Kindes auf einen unversehrten Körper zählt mehr als das Recht der Eltern auf die Erziehung. Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes steht bei uns weit höher als das Bestimmungsrecht der Religionen. Niemand akzeptiert eine Prügelstrafe, nur weil manche Menschen es aus der Bibel lesen, dass Prügel notwendig sind für die Erziehung von Kindern. Wir Kinder- und Jugendärzte wollen, dass Jungen in unserer Gesellschaft die gleichen Schutzrechte genießen wie die Mädchen. Wir wenden uns entschieden gegen Überlegungen sogenannter Medizinethiker in Amerika, eine - wie sie sagen - kleine Mädchenbeschneidung zu erlauben, und dass diese kleine Beschneidung bei den Mädchen ein Schutz sei vor der späteren, großen Beschneidung. Das sind völlig unbewiesene Behauptungen, das sind abstruse Überlegungen, die dort in großen Ethical Journals in der amerikanischen Medizinwelt jetzt wieder, 2016 veröffentlicht wurden. Ob groß ob klein, ob Jungen ob Mädchen, wer schlagen will, schlägt, wer beschneiden will, beschneidet. Das ist keine ethische Situation, das ist keine ethische Haltung, das ist keine ärztliche Haltung - wir dürfen das nicht erlauben.

Wir Ärzte dürfen aber auch nicht übersehen, dass eine riesige Anzahl von Jungen ohne jeglichen religiösen und ohne jeglichen medizinischen Grund in Deutschland beschnitten werden. Sie werden beschnitten, weil Ärzte schlecht ausgebildet sind. Medizinstudenten und Ärzte lernen in ihrer Ausbildung und ihrer Weiterbildung Dinge über die Vorhaut, die noch aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stammen. Sie lernen, dass die Vorhaut überflüssig sei, dass man sie abschneiden kann, und viele glauben noch, dass die Jungen im Schulalter ihre Vorhaut leicht und zwanglos zurückziehen können müssen, sonst müssten wir Ärzte eingreifen. Vor wenigen Jahren konnten wir nachweisen, dass jedes Jahr in Deutschland beinahe 30.000 Jungen ohne religiöse Motivation und gleichzeitig ohne medizinische Begründung beschnitten werden. Beinahe 30.000 Opfer, Jungen, von Verstümmelung durch Ärzte. Verstümmelung aus Unwissen, Verstümmelung aus Gleichgültigkeit, und eine Verstümmelung, an der Einzelne gut verdienen.

Wenn wir als Kinder- und Jugendärzte Kinderrechte ernst nehmen, wenn wir unseren ärztlichen Auftrag ernst nehmen, dann haben wir beim Thema Beschneidung eine riesige Verantwortung, und wir haben noch viel zu tun. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen damit aufhören, jedes Jahr zigtausende Kinder, Jungen, grundlos zu verletzen. Wir müssen sie besser ausbilden, wir müssen sie besser über die Risiken und Nebenwirkungen und den Unsinn ihres Tuns informieren.

Und manchmal müssen wir ihnen in den Arm fallen und ihnen das Messer wegnehmen. Es muss ein Ende haben damit, dass kleinen Jungen grundlos Schmerzen zugefügt werden. Es muss ein Ende haben damit, dass kleinen Jungen ein Organ angeschnitten wird, das sie später vermissen. Es muss ein Ende haben, dass kleinen Jungen seelische Verletzungen zugeführt werden, die manchen viele Jahre oder ein ganzes Leben etwas von ihrer Lebensfreude nehmen. Es muss ein Ende damit haben, dass Erwachsene Kindern bleibende körperliche und seelische Schäden zuführen dürfen, wenn es hierfür keinen Grund gibt in der größtmöglichen gesundheitlichen Entwicklung später. Wir müssen den Beschneidern in den Arm fallen, wir müssen rituellen Beschneidern das Messer wegnehmen, wenn wir sie nicht überzeugen können. Wir müssen den Ärzten das Beschneidungsmesser wegnehmen, wenn sie es fahrlässig und ohne ausreichende Kenntnisse handhaben.

Ich danke Ihnen, dass Sie hier für diese Arbeit stehen, und dass Sie mir Gelegenheit geben, als Kinder- und Jugendarzt unsere Verantwortung und unsere Aufgabe hier noch einmal zu formulieren und zu verdeutlichen.

Schönen Dank!"

Rede vom WWDOGA 2020

2020 sprach Dr. Kupferschmidt in einer Videobotschaft zum WWDOGA:

Guten Tag, mein Name ist Christoph Kupferschmid. Seit 40 Jahren bin ich Kinder- und Jugendarzt und fast ebenso lang für den Schutz von Kindern und Jugendlichen aktiv. Heute spreche ich als Vertreter des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland. Unser Verband vertritt fast alle niedergelassenen Kinder- und Jugendärztinnen und -Ärzte und viele aus den Kliniken und aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst.

Bereits 2012 haben sich alle Verbände der Kinder- und Jugendmedizin in Deutschland dagegen ausgesprochen, dass Kindern oder Jugendlichen die Penisvorhaut abgeschnitten wird, ohne dass es hierfür einen medizinischen Grund gibt. Die Kommission für Ethische Fragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin bestätigte 2016 noch einmal, dass solche Eingriffe nicht im Einklang mit dem Kindeswohl stehen. Sie widersprechen der ärztlichen Ethik, nicht zu schaden.

Seit dem Kölner Urteil 2012 habe ich mir viele Gedanken über Beschneidung von Kindern und Jugendlichen gemacht und viele Artikel darüber geschrieben. Ich war an der Stellungnahme unserer Ethikkommission beteiligt und an der Formulierung der medizinischen Leitlinie, die 2017 veröffentlicht wurde und derzeit wieder bearbeitet wird.

Wir alle wissen, dass muslimische und jüdische Knaben aus religiösen Gründen beschnitten werden und dass diese Beschneidungen medizinisch nicht nötig sind. Die meisten Menschen wissen aber nicht, dass im medizinischen Bereich viel mehr Jungen beschnitten werden als dies durch eine Krankheit der Vorhaut nötig wäre. Ganz ohne religiösen Hintergrund. Abrechnungsdaten der Krankenkassen sagen uns, dass etwa bei jedem zehnten Jungen die Vorhaut operiert wird. Jahr für Jahr. Aus wissenschaftlichen Daten über die Erkrankungen der Vorhaut geht hervor, dass bei höchstens 3 % eine Operation nötig ist. So sind also derzeit zwei von drei Operationen, die im medizinischen Bereich gemacht werden, unnötig.

Wir haben die medizinische Leitlinie 20[1]7 auch deswegen verabschiedet, um den Ärzten eine Hilfe zu geben, dass sie nicht mehr so oft unnötig operieren. Das geschah im Wissen und in der Überzeugung, dass man den Jungen mit der Entfernung der Vorhaut einen großen Teil des erotisch sensiblen Gewebes ihres Penis entfernt. Zudem ist die Operation ja nicht frei von Komplikationen. Leider hatte die Veröffentlichung der Leitlinie keinen wesentlichen Effekt auf die Häufigkeit der Beschneidung aus vorgeblich medizinischen Gründen. Die Anzahl der Beschneidungen ist von 2017 nach 2019 nur wenig gesunken. Das heißt, auch heute sind noch zwei von drei Beschneidungen, die im ambulanten Bereich gemacht werden und von den Krankenkassen bezahlt werden, medizinisch wahrscheinlich nicht erforderlich.

Als Arzt und Medizinethiker bin ich hierüber traurig. Denn wir Ärzte sollen durch unsere Arbeit nicht schaden. Ich weiß zwar, dass viele Männer niemals einen Nachteil empfinden, weil sie als Kinder beschnitten worden sind. Ich weiß aber auch, dass es viele Männer gibt, die zeitlebens darunter leiden. Den Verlauf können wir nicht vorhersehen. Eines ist jedoch sicher: dass eine entfernte Vorhaut nie wieder herzustellen ist.

Was ist mit den Beschneidungen aus religiösen Gründen oder aufgrund der Tradition? Als Ärzte können wir niemand und wollen auch niemand in seine Religion hineinreden. Wir können und müssen aber immer wieder aufklären, dass es meistens keine medizinischen Gründe für diese Beschneidungen gibt. Der angeblich medizinische Vorteil wird uns zwar immer wieder vorgehalten, es gibt ihn aber nicht, jedenfalls nicht in Deutschland und nicht in Europa. Wir haben heute andere medizinische Standards als zu Zeiten Abrahams und Mohammeds.

Die Kinder- und Jugendärzte in Deutschland fordern seit Jahren, dass wir einen gesellschaftlichen Dialog hierüber führen sollen. Nach dem Kölner Urteil und nach der Verabschiedung des sogenannten "Beschneidungsgesetzes" im Deutschen Bundestag 2012 fanden viele Gruppen diesen Dialog notwendig. Sie waren beinahe enthusiastisch. Die Idee ist jedoch eingeschlafen. Alle, bis auf die Betroffenen, leben gut mit der derzeitigen Situation. Man handelt nach dem Motto: Besser nicht daran rühren.

Die Eltern haben das Recht, über eine Beschneidung ihrer Söhne zu entscheiden, weil der Staat das Elternrecht und das Grundrecht auf freie Religionsausübung über das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit gestellt hat. Das war auch deswegen möglich, weil die Kinderrechte immer noch nicht im Grundgesetz verankert sind.

Heute ist Corona-Krise, heute ist alles anders. Vor dem Hintergrund großer gesundheitlicher Risiken für die Bevölkerung - namentlich für ältere Menschen - war es überraschend einfach, das Grundrecht auf freie Religionsausübung einzuschränken. Es war genauso überraschend einfach, das Erziehungsrecht der Eltern einzuschränken, indem man die Spielplätze geschlossen hat und die Kontakte und die Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt. Wohlgemerkt, ich bin nicht gegen diese Maßnahmen, im Gegenteil. Ich halte sie für dringend notwendig, bis wir einen Impfstoff oder gut wirksame Medikamente in Händen haben.

Aber vielleicht gehört das auch zu den Lehren aus Corona, dass wir überkommene Glaubenssätze auf den Prüfstand stellen. Dass es immer so weitergehen muss mit der unnötigen Verletzung von so vielen kleinen Jungen. Verletzung aus religiösen und aus traditionellen Motiven, Verletzung aus Missachtung medizinischer Standards und weil die Eltern es eben so wollen.

Ich wünsche allen Kindern, dass sie mit unversehrtem Genitale aufwachsen können, vor allem dann, wenn nicht triftige medizinische Gründe eine frühe Operation erfordern. Ich wünsche allen Kindern, dass sie selbstbestimmt, ohne traumatische Belastung, ihre sexuelle Identität finden und leben können. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. Ich wünsche Ihnen Gesundheit und Durchhaltevermögen.
Dr. Christoph Kupferschmid (WWDOGA 2020)[2]

Weblinks

Einzelnachweise